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Grenzen respektieren

Eine Fallstudie von Oliver Zernial

In den vorherigen Ausgaben haben wir über unser „Kieler Sushi“-Konzept und die Stabilisierung von partikularen Augmentaten allein mit Plättchenreichem Plasma (PRP) berichtet. Durch die gezielte Aktivierung der plasmatischen und auch insbesondere der zellulären thrombozytären Gerinnung lassen sich selbst große, rein partikuläre Augmentate so gut verkleben, dass auf die üblichen Stabilisierungsmaßnahmen über kortikale Schalen, Titangitter, verstärkte Membranen und Pins verzichtet werden kann. Die damit verbundene Vielseitigkeit und Effizienzsteigerung weckt Begeisterung.

Dennoch darf man nicht der Versuchung unterliegen, dass PRP sämtliche Probleme lösen kann. So bleibt die Augmentation in der Vertikalen auch mit dem „Kieler Sushi“-Konzept eine Herausforderung. Eine vertikale Augmentation ohne Stabilisierungsmaßnahmen ist zwar im Einzelfall und bei strenger Indikationsstellung möglich, wird aber dem Anspruch, vorhersagbare Ergebnisse zu erzielen, nicht gerecht. Der folgende Fall soll nicht nur zeigen, wie in Kombination mit dem „Kieler Sushi“ ein vertikaler Defekt rekonstruiert werden kann, sondern auch vermeiden, dass zu hohe Erwartungen an das Konzept gestellt werden.

Patientenfall

Eine 77-jährige Frau wurde zur Implantation regio 35 und 36 an uns überwiesen. Aufgrund der fortgeschrittenen vertikalen Atrophie führten wir zunächst eine digitale Volumentomografie durch. Anschließend wurde die geplante Implantation mithilfe der Navigations-Software Sicat simuliert. Ein vertikales Defizit von ca. 5 mm regio 36 und ein horizontal geringes Knochenangebot regio 35 lagen vor, sodass ein zweizeitiges Vorgehen notwendig wurde.

In der Vergangenheit konnten ähnliche vertikale Atrophien allein partikulär nach dem „Kieler Sushi“-Konzept erfolgreich rekonstruiert werden. Ab einer Vertikalen von 3 mm ist der Erfolg eines plasmastabilisierten Aufbaus jedoch von vielen entscheidenden Faktoren abhängig. Daher kann es nicht immer als Standard empfohlen werden. Aus diesem Grund entschieden wir uns trotz des hohen Alters der Patientin für eine vertikale Stabilisierung des Augmentats mithilfe einer kortikalen Knochenschale.

Augmentation

Da für die Patientin kein allogenes Material infrage kam, wurde Augmentat von der kranialen Kante der linken Linea obliqua mithilfe eines Piezotoms (Mectron) gewonnen. Es wurde darauf geachtet, eine nur wenige Millimeter breite, dünne Brücke zu entnehmen, ohne dabei den Markraum zu eröffnen und ohne den Musculus masseter unnötig zu mobilisieren. Autologe Späne wurden mithilfe eines Bone-Scrapers (Twist) aus der Region entnommen. Anschließend wurde die kortikale Schale wie eine Brücke mit zwei Mikro-Osteosyntheseschrauben über dem Defekt fixiert. Zusätzlich zur Mobilisation des bukkalen Mukoperiostlappens erfolgte eine vorsichtige linguale Periostschlitzung, um einen entsprechend spannungsfreien Wundverschluss zu ermöglichen.

Für das eigentliche Volumen der Augmentation wurde auf das „Kieler-Sushi“-Konzept zurückgegriffen. Hierbei wird autologer partikulärer Knochen mit einem Knochenersatzmaterial (Bio-Oss L, Geistlich) vermischt und anschließend mit Plasma, gewonnen nach dem PRGF-Verfahren nach Anitua (BTI), stabilisiert. Nach entsprechender Unterfütterung der Brücke wurde zusätzlich eine 1-2mm gewalzte Schicht „Kieler-Sushi“ über die gesamte Augmentation gelegt. Außerdem wurde eine resorbierbare Perikardmembran (Smartmembran, Thommen Medical) verwendet. Eine weitere, aus PRGF gepresste Membran, von uns auch symbolisch „Crêpe“ genannt, diente nicht nur der Weichgewebsunterfütterung, sondern auch zusätzlich der Verklebung des gesamten OP-Gebietes. Abschließend wurde die Augmentation mit Polyfil-gecoateter Naht (4.0) und feinen monofilen Nähten (6.0) sorgfältig verschlossen.

Implantation

Nach fünf Monaten konnte die geplante Implantation (Camlog Promote) problemlos durchgeführt werden. Auffällig war der noch deutlich junge Knochen des Augmentats unter der kortikalen Brücke. Im Vergleich hierzu war der Knochen weitere vier Monate später bei der Freilegung im Röntgenbild deutlich dichter, was das hohe Regenerationspotential plasmastabilisierter Augmentate verdeutlicht.

Abb 1: Präoperative dreidimensionale Implantatplanung mit deutlicher horizontaler und vertikaler Atrophie.

Abb. 2: Entnahme einer kortikalen „Brücke“ von der kranialen Kante der Linea obliqua links.

Abb 3: Ausdünnen der Brücke und zusätzlich Gewinnung von autologen Spänen aus der Spenderregion mit einem Bone-Scraper.

Abb. 4: Stabilisieren des autologen Knochens und des bovinen Knochenersatzmaterials mit thrombozytenreichem Plasma des PRGF.

Abb 5: Mobilisation des Mukoperiosts bukkal und lingual.

Abb. 6: Fixierung der „Brücke“ mit zwei Mikro-Osteosyntheseschrauben.

Abb 7: Aufbau und Unterfütterung der vertikalen Diskrepanz mit „Kieler-Sushi“, stabilisiert durch die Fraktion 2 des PRGF.

Abb. 8: Gewalztes Augmentat aus „Kieler-Sushi“.

Abb 9: Zusätzliche Augmentation horizontal und vertikal von lingual nach bukkal.

Abb. 10: Pressen der fibrinreichen Fraktion 1 des PRGF zu einem „Crêpe“.

Abb 11: Weichgewebsunterfütterung und verkleben der Augmentation mit dem Fibrin-„Crêpe“.

Abb. 12: Erfolgreiche Rekonstruktion der Vertikalen und spannungsfreier Wundverschluss.

Abb 13: Röntgenkontrolle unmittelbar nach Augmentation.

Abb. 14: Augmentat und Implantatinsertion nach fünf Monaten.

Abb 15: Gute vertikale Stabilität des Augmentats und deutliche Zunahme der Knochendichte nach vier Monaten bei der Freilegung der Implantate.

Abb. 16: Gesundes Knochenvolumen und Weichgewebe zum Zeitpunkt der definitiven Versorgung der Implantate.

Fazit

Dieser Fall soll zeigen, dass auch das „Kieler-Sushi“-Kon- zept Grenzen kennt. Denn eine dogmatische Positionierung für oder gegen eine bestimmte Technik oder Lösung ist und war noch nie sinnvoll. Letztendlich sollte die Indika- tion mit Berücksichtigung patientenspezifischer Fakto- ren und nicht die persönliche Meinung bei der Wahl der Therapie ausschlaggebend sein.

Autor

Dr. med. Oliver Zernial

  • 1993-2001 Studium der Humanmedizin an den Universitäten Giessen und Kiel
  • 2003 Promotion zum Dr. med.
  • 2001-2004 Studium der Zahnmedizin an der Universität Kiel
  • 2004-2008 Facharztausbildung an der Klinik für MKG, UKSH Campus Kiel
  • 2004 Anerkennung des Facharztes für MKG-Chirurgie
  • 2009 Niederlassung als MKG-Chirurg in eigener Praxis und als Belegarzt in der Ostseeklinik Kiel
  • 2011 Gründung und ärztliche Leitung des Zentrums für Implantologie (Myimplant), Kiefer- und ästhetische Gesichtschirurgie (Myaesthetic) in den Germania Arkaden an der Kieler Förde

info@myimplant.de
www.myimplant.de