hero-ribbon

Neuigkeiten zur IDS hier auf www.frag-pip.de

Implantatprothetische Gesamtrestauration mittels All-on-4

Bei der Behandlung von Angstpatienten sind vom gesamten Praxisteam zusätzliches Feingefühl und Geduld gefragt. Das Sofortversorgungskonzept eines zahnlosen Kiefers mittels All-on-4 bietet in Fällen wie diesen eine adäquate Therapiemöglichkeit bei vergleichsweise geringem Aufwand. In der Regel ist nur ein chirurgischer Eingriff für die festsitzende implantatgetragene Verankerung des Zahnersatzes notwendig. Der Eingriff kann in Vollnarkose vorgenommen werden.

Bei dem von Prof. Dr. Paolo Maló entwickelten All-on-4-Verfahren dienen vier Implantate als Basis für die Sofortversorgung des zahnlosen Kiefers mit einem festsitzenden Zahnersatz. Die anterioren Implantate werden axial in regio 12/22 bzw. 32/42 inseriert. Die posterioren Implantate sollten in regio 15/25 bzw. 35/45 in einem Winkel zwischen 30° bis maximal 45° eingebracht werden. Aufgrund der Angulation der distalen Implantate können längere Implantate inseriert werden. Auf diese Weise können zudem im Oberkiefer ein Sinuslift sowie im Unterkiefer ein aufwändiger Knochenaufbau umgangen werden. Zum Ausgleich der Implantatdivergenzen stehen gerade und abgewinkelte Multi-Unit-Abutments zur Verfügung. Die prothetische Versorgung erfolgt mit zirkulären Brücken. In Publikationen werden gute bis sehr gute Überlebensraten der Implantate sowie der prothetischen Suprakonstruktion beschrieben [1-9]. 

Patientenfall

Die klinische und radiologische Untersuchung ergab, dass keiner der stark zerstörten Zähne erhalten werden konnte (Abb. 2-5). Unter Berücksichtigung der Ausgangssituation, der bio-psychosozialen Aspekte, der Risikofaktoren und der Patientenvorstellungen wurde eine für diese Situation ideale Therapie vorgeschlagen: die implantatprothetische Versorgung nach dem All-on-4-Konzept. Nach der Extraktion aller Zähne sollten im Ober- und Unterkiefer je vier Implantate (NobelActive, Nobel Biocare) inseriert und sofort mit einem festsitzenden Zahnersatz versorgt werden. Nach der Einheilung der Implantate sollte die Anfertigung der definitiven prothetischen Versorgung erfolgen. Die Vorteile des All-on-4-Konzepts überzeugten die Patientin und sie stimmte der Behandlung zu. 

Behandlungsplanung

Im vorliegenden Fall verweigerte die 61-jährige Patientin seit vier Jahrzehnten jedweden Zahnarztbesuch. Die daraus resultierende desolate ästhetische und funktionelle Situation belastete sie psychisch so stark, dass sie soziale Kontakte zunehmend mied, beim Reden und Lachen die Hand vor den Mund hielt, den Kopf immer gesenkt trug u.v.m (Abb. 1). 

Präimplantologische Behandlung 

Nach der Extraktion aller Zähne (Abb. 6) und der Implantation (Abb. 7, 8) wurde zunächst eine konventionelle Interimsprothese unter Berücksichtigung der ästhetischen und funktionellen Parameter erstellt (Abb. 9). Die Bisslage war über ein Bissregistrat validiert und die adaptierten Prothesen sind anschließend mithilfe von Silikon in einen transparenten Kunststoff übertragen worden. Diese Kopie-Prothesen wurden im Bereich der Zahnreihen ausgeschliffen und eine Art Planungsschablone für die Auswahl der Implantataufbauten (Multi-Unit-Abutments) erarbeitet. Im anterioren Bereich des Oberkiefers war zu viel Knochen vorhanden, was in Anbetracht einer festsitzenden Versorgung aus ästhetischer Sicht nachteilig ist. Die Transitionszone (Übergang Zahnersatz zum Knochen) sollte bei festsitzender Restauration des zahnlosen Kiefers im nicht sichtbaren Bereich liegen. Um dies zu gewährleisten, wurde eine intraoperative Reduktion des Knochens in diesen Bereichen geplant. 

Implantatinsertion

Unter Vollnarkose wurden der Kieferkamm freigelegt und das Knochenniveau im anterioren Bereich leicht reduziert. Nach dem Protokoll des All-on-4-Konzepts wurden im Ober- und Unterkiefer je vier Implantate inseriert. Die beiden anterioren Implantate (NobelActive, Nobel Biocare) im Oberkiefer wurden relativ gerade in den Kiefer eingebracht. Aufgrund des vergleichsweise guten Knochenangebots bedurfte es bei den posterioren Implantaten (NobelActive) einer nur geringen Neigung. Mit dem schrägen Einbringen der Implantate konnte der Knochen optimal genutzt und eine günstige Pfeilerverteilung geschaffen werden. Knochenaufbauende Maßnahmen waren nicht notwendig. 

Die vier Implantate im Unterkiefer (NobelReplace CC, Nobel Biocare) wurden weitestgehend parallel inseriert. Das wurzelförmige Design dieses Implantats ist für eine hohe Primärstabilität ausgelegt und u. a. gut geeignet für die Sofortversorgung nach der Insertion in ausgeheilten Alveolen [10]. Die konische Innenverbindung bietet eine hohe Passgenauigkeit sowie mechanische Festigkeit und damit die nötige Stabilität. Für alle Implantate konnte die erforderliche Primärstabilität validiert werden. Im Anschluss an die Implantation erfolgte noch eine röntgenologische Kontrolle der Situation (Abb. 10). 

Prothetische Sofortversorgung 

Noch während sich die Patientin unter Vollnarkose befand, wurde die Situation mit speziellen Abformpfosten für die Multi-Unit-Abutments abgeformt und ein Mastermodell herstellt. Innerhalb kurzer Zeit konnten nun die Totalprothesen für die Sofortversorgung zu verschraubbaren Brücken umgearbeitet werden. Die Patientin erhielt wenige Stunden nach der Insertion der Implantate festsitzende Restaurationen im Ober- und Unterkiefer (Abb. 11). Während der kommenden Monate konsultierte die Patientin die Praxis regelmäßig zur Kontrolle. 

Definitive Versorgung 

Vier Monate später wurden die definitiven Restaurationen hergestellt. Die provisorische Versorgung bot wertvolle Anhaltspunkte. Bei einer gemeinsamen Planung wurden nur kleine ästhetische Anpassungen besprochen (Abb. 12). Mittels CAD/CAM (NobelProcera, Nobel Biocare) wurden die Gerüste aus Titan in verkleinerter anatomischer Form spannungsfrei herausgefräst und mit einem hochvernetztem Komposit (anaxblend, Anaxdent) verblendet. 

Einsetzen der finalen Restauration 

Zum Einsetztermin präsentierten sich die Implantate nach wie vor reizlos in ihrer natürlichen Umgebung (Abb. 13, 14). Die finalen Restaurationen fügen sich wie von selbst in die oralen Gegebenheiten ein (Abb. 15-18). Innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit und mit relativ geringem Aufwand konnte der Patientin ein großes Stück Lebensqualität zurückgegeben werden. Sie trägt nun einen festsitzenden, funktionell-ästhetischen Zahnersatz und kann wieder aktiv am sozialen Leben teilhaben. Aufgrund der sehr guten Mundhygiene der Patientin zeigen sich auch aktuell, fünf Jahre post implantationem, völlig reizfreie Verhältnisse. 

Autoren

Dr. med. dent. Roberto Sleiter

  • 1989-1994: Zahnmedizinisches Studium Università Cattolica Roma
  • Promotion
  • 1995-1996: Assistent in der Abteilung für Totalprothetik und Kaufunktionsstörungen, Uni Zürich
  • 1997-2001: Assistenzzeiten: Abt. für Oralchirurgie ander Uni Bern
  • 2001-2003: Assistent der Privatpraxis für Oralchirurgie und Kiefer-Gesichtschirurgie Dr. Roux, Dr. Tschumper (Bern)
  • 2002: Fachzahnarzt für Oralchirurgie
  • 2009-2022: Ext. Oberarzt in der Abteilung für Oralchirurgie, Uni Bern
  • Seit 2003: Privatpraxis in Egerkingen

Zahntechniker Nando Aeschlimann

  • Seit 2017: Inhaber Das Zahnlabor Nando Aeschlimann, Zürich
  • Anstellungen und Praktika:
    Dental-Labor Willi Geller, Zürich
    Dental Labor Walter Gebhard-Achilles, Zürich Zahntechnisches Labor ZTW, St. Gallen Creation Willi Geller International Meiningen AT
  • Zahntechnische Arbeiten:
    Prothetische Sofortversorgung: ZT Vittorio Procopio, Egerkingen
    Definitive Versorgung: ZT Nando Aeschlimann, Zürich