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Integration vs. Desintegration – Die Rolle der Membran in der gesteuerten Knochenregeneration

Eine Fallstudie von Sarah Al-Maawi und Shahram Ghanaati

In der Oral- und Kieferchirurgie wird die gesteuerte Knochenregeneration (GBR) sehr häufig angewendet, um bei mangelndem Knochenangebot die Insertion dentaler Implantate vorzubereiten bzw. zu ermöglichen.

Dieses Konzept hat sich in den letzten Jahrzehnten als eine zuverlässige Behandlungsmethode mit langfristigen klinischen Erfolgen etabliert [1]. Die GBR-Technik sieht vor, applizierte Knochenersatzmaterialien mithilfe einer Membran gegen das umgebende Gewebe abzugrenzen, um dem Augmentat ausreichend Raum für die Knochenregeneration zu bieten und das Einwachsen schnellproliferierenden Weichgewebes zu verhindern [2]. Die Verwendung von Membranen ist auf Behandlungskonzepte der Parodontologie aus den neunziger Jahren zurückzuführen [3,4]. Diese oft nicht resorbierbaren „Folien“, auf Basis von Polytetrafluorethylen [PTFE], beinhalten den Nachteil, dass sie durch einen zusätzlichen chirurgischen Eingriff wieder entfernt werden müssen [5].

Mit dem Fortschritt der Biomaterialforschung wurde das Angebot verwendbarer Materialien durch unterschiedliche resorbierbare Membranen und Matrices, häufig auf Kollagenbasis, umfänglich ergänzt [6]. Aufgrund ihres ubiquitären Vorkommens und ihrer biologischen Vorteile eignen sich diese Materialien besonders für die klinische Anwendung.

Bedingt durch die sich immer weiterentwickelnden Materialien, chirurgischen Techniken und komplizierteren Anwendungen stellt sich die Frage, ob die vielen auf dem Markt befindlichen Membranen den Ansprüchen bezüglich Stabilität, Funktionalität und Biokompatibilität gerecht werden.

Aktuelle Forschungsergebnisse

An der Klinik für Mund- Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie (MKPG) des Universitätsklinikums der Goethe-Universität, Frankfurt am Main (Direktor: Prof. Dr. mult. Robert Sader), werden genau diese klinkrelevanten Zusammenhänge seit mehr als zehn Jahren unter der Leitung von Prof. Dr. mult. Shahram Ghanaati (stellvertretender Klinikdirektor und Leiter des Forschungslabors) in einem Forschungsteam bestehend aus praktizierenden Klinikern und Naturwissenschaftlern im FORM-Lab (Frankfurt Orofaci- al Regenerative Medicine, Forschungslabor der MKPG) erforscht. In einer systematischen translationalen Forschungskette, be- stehend aus in vitro-, in vivo- und klinischer Forschung, beschäftigt sich das Team mit den Mechanismen der biomaterialbasierten Regeneration und möglichen Immunreaktionen [7].

Die materialinduzierte Gewebeantwort hat einen enormen Einfluss auf die Geweberegeneration

Das Hauptaugenmerk der durchgeführten Untersuchungen liegt auf dem Verständnis der Gewebeantwort auf kollagenbasierten Membranen und Matrices unterschiedlicher Herkunft im Vergleich zu den nicht resorbierbaren Membranen auf PTFE- Basis. Sowohl in unterschiedlichen in vivo- als auch in klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die biomaterialinduzierte Gewebeantwort einen enormen Einfluss auf den Verlauf des Heilungs- und Regenerationsprozesses hat [7]. Dabei konnte die Funktionsweise der resorbierbaren kollagenbasierten Membranen aufgeschlüsselt werden [8].

Die Daten der letzten zehn Jahre zeigen, dass die hervorgerufene Zell- und Immunantwort nicht nur vom applizierten Material (synthetisch oder natürlich) abhängt. Weitere wichtige Einflussfaktoren sind neben den physikalischen und chemischen Eigenschaften auch die unterschiedlichen Herstellungsprozesse der Biomaterialien. Zu den mitentscheidenden Parametern gehören unter anderem die Materialdicke, Quervernetzung, Faserdicke, Porosität, Hydrophilie, Polarität, Oberflächenbeschaffenheit, strukturelle Zusammensetzung und das Absorptionsverhalten. Diese Eigenschaften entstehen während der Prozessierung und Herstellung des Biomaterials und werden durch die Reinigungsverfahren und Sterilisationsverfahren entscheidend beeinflusst [9].

Mehr als 100 unterschiedliche Biomaterialien auf das Degradationsmuster untersucht

Im FORM-Lab wurden bereits mehr als 100 unterschiedliche Biomaterialien systematisch untersucht. Dabei wurde das Regenerationsmuster der Biomaterialien auf Zellebene aufgeschlüsselt, was zum Verständnis des Degradationsmusters unterschiedlicher kollagenbasierter Materialien und der Funktionsweise nicht resorbierbarer Membranen führte.

Interessanterweise stellen nicht resorbierbare Membranen auf PTFE-Basis eine eher passive physikalische Barriere dar und erhalten ihre okklusive Funktion über einen langen Zeitraum hinweg (mehr als 180 Tage) [8,10]. Dabei wird diese Membranart durch die induzierte Zellreaktion inflammatorischer Zellen eingekapselt und isoliert (Abb. 1a)[8]. Je nach Oberflächenbeschaffenheit bilden sich an der Membranoberfläche unterschiedliche Kapselstrukturen (dünn und locker oder dick und dicht), die wiederum unterschiedlich stark an der Oberfläche der Membran haften können. Die Qualität und Struktur der gebildeten Kapsel ist für die Klinik von hoher Bedeutung. Sie ist mitentscheidend, ob sich die nicht resorbierbare Membran schwer oder einfach wieder entfernen lässt.

Die Zellreaktion und die daraus resultierenden Regenerations- bzw. Degradationsmuster auf resorbierbare, vor allem auf kollagenbasierte Membranen und Matrices, zeigt gänzlich andere Mechanismen. Entscheidend ist dabei die physikalisch chemische Beschaffenheit des entsprechenden Biomaterials [8,11].

Initial akkumulieren inflammatorische Zellen auf der Oberfläche der Membran oder Matrix [12-14]. Hierbei handelt es sich zunächst um physiologisch agierende mononukleäre Zellen wie Leukozyten, Monozyten, Makrophagen, Lymphozyten und später Fibroblasten [12–14]. Da die Materialien eine gewisse Porosität und Resorbierbarkeit aufweisen, wandern die Zellen je nach Ma- terialbeschaffenheit unterschiedlich schnell in das Material ein und besiedeln zunächst seine oberflächennahen Bereiche [15].

Kollagenmembranen gleicher biologischer Herkunft zeigen unterschiedliche Zellreaktionen

Kollagenmembranen gleicher biologischer Herkunft (porzines Kollagen) verursachen teilweise unterschiedliche Zellreaktionen, die vor allem durch die Prozessierung der Oberfläche erklärbar sind [8,12,16,17]. Durch die Oberflächenbeschaffenheit des Materials, das unter Umständen als Fremdkörper erkannt wird, können aus den akkumulierten Makrophagen sogenannte multinukleäre Riesenzellen entstehen [7]. Untersuchungen haben nachgewiesen, dass biomaterialinduzierte multinukleäre Riesenzellen Fremdkörperzellen ähneln und ein hohes proinflammatorisches Potenzial besitzen [18–20].

Bedingt durch die Bildung dieser multinukleären Riesenzellen weisen eine Vielzahl der untersuchten Materialien ein anderes Regenerationsmuster auf als solche, die keine multinukleäre Riesenzellbildung verursachen [14].

Desintegration versus Integration

Die Bildung der beschriebenen Riesenzellen hat einen gravierenden Einfluss auf den lokalen Heilungs- und Regenerationsprozess und entscheidet darüber, ob das Material in das Gewebe integriert wird oder durch unphysiologische Degradationsprozesse desintegriert.

Nach der Induktion multinukleärer Riesenzellen erfährt die Membran eine sogenannte Desintegration, die eine Art der frühzeitigen Degradation darstellt. Dabei wird die Membran durch das hohe proinflammatorische Potenzial fragmentiert und in kleineren Stücken abgebaut (Abb. 1b) [12,21]. Zusätzlich bildet sich ein hoch vaskularisiertes Granulationsgewebe, das persistiert, bis die Membran vollständig resorbiert ist. Der zeitliche Ablauf dieser unphysiologischen Desintegration sowie die Stärke inflammatorischer Reize sind abhängig von der Beschaffenheit der Membran und im Vorfeld nicht einschätzbar.

Im Rahmen der durchgeführten Studien wurden auch resorbierbare kollagenbasierte Membranen und Matrices untersucht, die zu keinem Zeitpunkt eine unphysiologische Fremdkörperreaktion auslösen. Diese aktivieren nur physiologische mononukleäre Zellen wie Monozyten, Makrophagen, Lymphozyten und später Fibroblasten, die an der physiologischen Wundheilung beteiligt sind. Durch die milde inflammatorische Antwort der mononukleären Zellen wird die Membran schrittweise penetriert und behält ihre initiale Struktur, ohne frühzeitig abgebaut zu werden. Die Resorption der Membran erfolgt über Makrophagen und die Membran wird regelrecht geweblich in das Implantationsbett integriert (Abb. 1c) [16].

Durch klinische Studien bestätigte Ergebnisse

Durch den beschriebenen Integrationsprozess behalten Kollagenmembranen und -matrices, die keine multinukleäre Riesenzellen induzieren, ihre initiale Struktur für etwa 60 Tage und werden sukzessive in das Implantationsbett eingebaut. Dieses Regenerationsmuster konnte sowohl in vivo als auch in klinischen Studien bestätigt werden.

In einer klinischen Studie wurde die nicht quervernetzte dreidimensionale Kollagenmatrix Mucograft (Geistlich Pharma AG) für Vestibulumplastiken ehemaliger Tumorpatienten eingesetzt [22]. Nach sechs bis acht Monaten zeigte die Matrix sehr gute funktionelle und ästhetische Ergebnisse. Die histologische Untersuchung der im Rahmen der Studie gewonnenen Proben zeigte das beschriebene Integrationsmuster [22]. Nach acht Monaten konnte die Matrix in den Proben nachgewiesen werden und zeigte nur mononukleäre Zellen, die zum Einbau der Matrix in das umliegende Gewebe beigetragen haben [22].

Vergleichbare Ergebnisse bezüglich der Materialintegration in das Umgebungsgewebe wurden in einer klinischen Studie beobachtet, bei der die resorbierbare Kollagenmembran Bio-Gide (Geistlich Pharma AG) zur Sinuslift Augmentation eingesetzt wurde [23].

Klinische Relevanz

Das Verständnis der Regenerations- und Degradationsmuster in ihrem zeitlichen Ablauf ermöglicht eine Einschätzung der regenerativen Fähigkeit eines Biomaterials und dessen Eignung zur Anwendung bei bestimmten klinischen Indikationen.
Im klinischen Alltag werden Biomaterialien in unterschiedlichen Indikationen wie beispielsweise in der Rezessionsdeckung, Sinuslift-Augmentation, Socket Preservation, Vestibulumplastik, Parodontalchirurgie sowie bei lateralen und dreidimensionalen Kieferaugmentationen verwendet (Abb. 2-6).

Je nach klinischer Indikation sind andere Anforderungen an die eingesetzten Materialien zu definieren, z. B. können bei kleinen Knochendefekten, die eine GTR erfordern, uneingeschränkt Membranen verwendet werden, die durch die Induktion von multinukleären Riesenzellen eine eher schnelle Degradation im Sinne der Desintegration erfahren. Kollagenbasierte Membranen und Matrices, die für Rezessionsdeckung oder Vestibulumplastiken angewendet werden sollen, sollten eher als ein Scaffold dienen und das Gewebe zur Regeneration führen, ohne eine passive Barrierefunktion aufzuweisen.

In der GBR-Technik werden Knochenersatzmaterialien als Platzhalter verwendet, die das zu regenerierende Volumen vorgeben. In diesem Zusammenhang muss die Rolle der resorbierbaren Membran einen anderen Mehrwert haben als die konventionelle, nicht resorbierbare Barrieremembran. In diesem Fall ist die Hauptfunktion der resorbierbaren Kollagenmembran eine Leitschiene, um das Weichgewebe zu bilden und sich langfristig in das Implantationsgebiet zu integrieren. Somit kann durch die Verwendung der resorbierbaren Kollagenmembranen oder -matrices sogar zeitgleich eine Regeneration des Weichgewebes, welche seinen sehr wichtigen Stellenwert als periimplantäres Gewebe einnimmt, zum langfristigen Erfolg von Implantaten signifikant beitragen.

Autor

Sarah Al-Maawi

WerdegangJohann Wolfgang Goethe- Universität, Frankfurt am Main

  • 10.2012-12.2017 Studiumder Zahnmedizin
  • 06.2014-08.2014 Hilfswissenschaftlerin in der Abteilung für Biochemie und molekulare Biologie
  • 10.2015-12.2017 Hilfswissenschaftlerin im Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)
  • 04.2016-12.2017 HilfswissenschaftlerinimFORM-Labder 
Mund-, Kiefer- und Plastischen Gesichtschirurgie
  • 12.2017 Approbation Zahnmedizin
  • Seit 01.2018 Assistenz zahnärztininder Klinik für Mund-, 
Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
  • 02.2018 Einreichen der Dissertationsschrift
  • Seit 10.2018 Studium der Medizin
  • Mitglied der FORM-Lab Forschungsgruppe an der Klinik 
für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Goethe-Universität

Sarah.Al-Maawi@kgu.de
www.form-frankfurt.de

Prof. Dr. Dr. Dr. Shahram Ghanaati

  • 1995-1996 Studium Physik, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
  • 1997-2004 Studium Medizin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • 2000-2004 Experimentelle Doktorarbeit (Medizin) am Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Mainz Direktor: Univ.-Prof. C. James Kirkpa- trick. Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Hans- Anton Lehr. Beurteilung: Magna cum laude
  • 2005-2009 Studium der Zahnmedizin, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • 2009-2012 Experimentelle Doktorarbeit (Zahnmedizin) am Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Mainz und an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Direktor und Betreuer: Univ.-Prof. Dr. C. James Kirkpatrick. Beurteilung: Magna cum laude

Habilitation und Venia Legendi 

  • 02.2015 In-vivo-Analyse von synthetischen Knochenersatzmaterial-Granulaten zur Regeneration des atrophierten Kieferknochens: Systematische histologische, histomorphometrische in-vivo-Untersuchungen und klinische Studien

Werdegang Johannes Gutenberg-Universität Mainz

  • 02-05.2005 Wiss. Mitarbeiter der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum, (Direktor em. Prof. Dr. Th. Junginger)

Wissenschaftlicher Werdegang

  • 2000 – 2004 Mitarbeit in der Forschungsgruppe von Univ.- Prof. Hans-Anton Lehr, Institut für Pathologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Direktor: Univ.-Prof. C. James Kirkpatrick)
  • 06-08/2001 Gastaufenthalt im Department of Biomedical Engineering, University of Virginia, USA
  • 06.2005 – 09.2015 Wiss. Mitarbeiter, Institut für Pathologie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Direktor: Prof. C. James Kirkpatrick)
  • Seit 2007 Leiter des Forschungslabors, FORM-Lab, Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Johann 
Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
  • Seit 2013 Visiting Research Fellow am Department of 
Tissue Engineering & Biophotonics), Kings College London, 
United Kingdom
  • Seit 2013 Assistant Professor, Riga Technical University, 
Institute of General Chemical Technology, Riga, Lettland
  • 2015 Gastaufenthalt am Department of Head and Neck 
Surgical Oncology George Washington University, 
Washington, D.C./USA
  • Vielfältige Publikationen
  • Etliche wissenschaftliche Ämter
  • Mitglied im Editorial Board und Gutachtertätigkeit bei 
renommierten intern. Fachzeitschriften
  • VielfältigeDozententätigkeiten
  • Etliche Auszeichnungen, Preise und Stipendien

shahram.ghanaati@kgu.dem
www.form-frankfurt.de