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Kann man vorhersagbar vorhersagbar sein?

Eine Fallstudie von Dr. med. Oliver Zernial und Dr. med. dent. Niklas Wichmann

Die zahnärztliche Implantologie entwickelt sich rasant weiter und die Komplexität und Behandlungsvielfalt nimmt stetig zu. Das Problem ist, dass die Vorhersagbarkeit unabdingbar und gerade aus der Sicht des Patienten selbstverständlich ist. Leider steigt mit der Komplexität zwangsläufig auch die Anzahl der Probleme, die vorhersagbar gelöst werden müssen. Mathematisch betrachtet ist dies also der falsche Weg, um vorhersagbar zu sein. Stellt sich nun die Frage, warum gehen wir alle diesen Weg? 

Der folgende Fall zeigt eine vertikale Augmentation im 3. und 4. Quadranten. Eine 60-jährige Patientin wurde zur Implantation im Unterkieferseitenzahnbereich regio 36, 37 und 44-46 von ihrem Zahnarzt an unsere Praxis überwiesen. Klinisch und radiologisch zeigte sich beidseits jeweils eine hochgradige Atrophie des Alveolarfortsatzes mit einem knöchernen Defizit sowohl in horizontaler als auch vertikaler Dimension (Abb. 1).

Aufgrund klinischer und radiologischer Befunde entschieden wir uns nach der Extraktion der Zähne 44 und 45 für ein zweizeitiges Vorgehen. In regio 44-46 erfolgte die Rekonstruktion der knöchernen Alveolarkammverhältnisse mittels eines rein plasmastabilisierten Augmentats im Sinne einer GBR („Kieler Sushi“-Konzept (mit PRGF stabilisierter partikulärer autologer Knochen und porciner Knochenersatz (THE Graft, Regedent), pip 3/2019) (Abb. 2). Anschließend erfolgte die Abdeckung des Augmentats durch eine resorbierbare Pericardmembran (Smartbrane, Regedent) sowie eine Weichgewebsunterfütterung durch eine PRGF-Membran (Endoret, BTI) (Abb. 3).

In Anbetracht der äußerst limitierten knöchernen Ausgangssituation wurde eine autologe Schale von der Linea obliqua entnommen und in regio 36 und 37 als vertikale Stabilisierung mit zwei Mikro-Osteosyntheseschrauben eingebracht (Abb. 4). Zusätzlich wurden diese mit einem plasmastabilisierten Augmentat kombiniert (Abb. 5).

Während der Einheilzeit kam es in regio 36 zu einer Perforation der mesialen Osteosyntheseschraube (Abb. 6), sodass im DVT vor der Implantation bereits ein erneutes vertikales Knochendefizit erkennbar war (Abb. 7).

Rechts hingegen kam es zu keinerlei Dehiszenzen und es zeigte sich radiologisch eine entsprechend gute Ausgangssituation (Abb. 8). Während der Implantation überzeugte rechts auch klinisch der neugebildete Knochen (Abb. 9), während links eine Reaugmentation notwendig war (Abb. 10).

Dies stellte durch die sehr effiziente „Kieler Sushi“-Technik kein nennenswertes Problem dar (Abb. 11). Daher wurden alle Implantate mit einer kleineren Konturaugmentation optimiert und mit einer zusätzlichen PRGF-Membran zur Weichgewebsunterfütterung abgedeckt. Die postoperative radiologische Kontrollaufnahme zeigte neben einer suffizienten Positionierung eine bereits weit vorangeschrittene Ossifikation der Augmentate (Abb. 12).

Nach weiteren vier Monaten wurden die Implantate durch Lateralisierung der keratinisierten Gingiva freigelegt. Um langfristig reizfreie gingivale Verhältnisse zu schaffen, erfolgte zeitgleich im 3. Quadranten eine apikale Verschiebelappenplastik mittels Radiofrequenz-Chirurgie (Abb. 13).

Radiologisch zeigte sich ein stabiles knöchernes Implantatlager. Lediglich in regio 36 war ein dezenter Verlust an knöchernem Attachment im Bereich der Implantatschulter zu beobachten. Abschließend wurde die Patientin zurück an den Hauszahnarzt für die prothetische Weiterversorgung überwiesen.

Leider erkrankte die Patientin im weiteren Verlauf an einem malignen Melanom retroaurikulär rechts. Nach operativer Entfernung erfolgte eine adjuvante Therapie mittels Nivolumab. Trotzdem zeigte sich uns nach 18 Monaten eine vollständige funktionelle und ästhetische Rehabilitation der klinischen Situation (Abb. 14). Auch radiologisch sind beide Augmentate vollständig „remodelliert“ und stabil. Zusammenfassend konnte jedoch rechts ein besseres Ergebnis als links festgestellt werden (Abb. 15).

Bildbeschriftungen im Vollbildmodus

Fazit

Dieser Fall demonstriert eindrucksvoll, dass mehr Aufwand nicht immer ein besseres Ergebnis bedeuten muss. Da beide Augmentationen zeitgleich an ein und derselben Patientin und von demselben Chirurgen durchgeführt wurden, entfällt auch die Diskussion, ob die chirurgischen Fähigkeiten des Operateurs ‚ausreichend‘ und vergleichbar waren. Nüchtern betrachtet konnte mit einer wesentlich einfacheren und effizienteren Technik, dem ausschließlich mit Plasma stabilisierten „Kieler Sushi“-Augmentat, ein vorhersagbareres und auch langfristig besseres Ergebnis erzielt werden. Um vorhersagbar vorhersagbar zu sein, scheint die folgende Strategie sinnvoll zu sein: Weniger ist manchmal mehr!

Autoren

Dr. med. Oliver Zernial

Gründer und Gesellschafter der I love implants GmbH

  • 1993-2001 Studium der Humanmedizin an den Universitäten Gießen und Kiel
  • 2003 Promotion zum Dr. med.
  • 2001-2004 Studium der Zahnmedizin an der Universität Kiel
  • 2004-2008 Facharztausbildung an der Klinik für MKG, UKSH Campus Kiel
  • 2008 Anerkennung des Facharztes für MKG-Chirurgie
  • 2009 Niederlassung als MKG-Chirurg in eigener Praxis und als Belegarzt in der Ostseeklinik Kiel
  • 2011 Gründung und ärztliche Leitung des Zentrums für Implantologie (Myimplant), Kiefer- und ästhetische Gesichtschirurgie (Myaesthetic) in den Germania Arkaden an der Kieler Förde
  • 2018 Dozent und Lehrpraxis an der Uni. f. digitale Technologie in Medizin u. Zahnmedizin, LUX
  • 2020 Gründer und Gesellschafter der I love implants GmbH

info@myimplant.de
www.myimplant.de

Dr. med. dent. Niklas Wichmann

Oralchirurg in Weiterbildung in der Praxis Dr. med. Oliver Zernial, Kiel

  • 2012-2017 Studium der Zahnmedizin an der Universität Kiel
  • 2018-2020 Assistenzzahnarzt in zahnärztlicher Praxis in Kiel
  • Seit 2020 Oralchirurg in Weiterbildung in der Praxis Dr. med. Oliver Zernial, Kiel
  • 2021 Promotion zum Dr. med. dent.

wichmann@myimplant.de
www.myimplant.de