Eine Fallstudie von Prof. Dr. med. dent. Georg-Hubertus Nentwig und Walter Moser, PhD
Das EPS (Enhanced Primary Stability) – Konzept beinhaltet ein der lokalen Strukturqualität angepasstes Vorgehen bei der Präparation des Implantatbetts mit dem Ziel, das Präparationstrauma zu minimieren und eine bestmögliche Primärstabilität des Implantats zu erreichen. Es wurde speziell im Zusammenhang mit der Entwicklung des myplant two-Implantatsystems inauguriert.
Der strukturelle Aufbau des alveolären Knochens kann an der Stelle, wo eine Implantatinsertion vorzunehmen ist, höchst unterschiedlich sein. Dabei haben die strukturelle Qualität und Quantität (Mineralisationsdichte) eine direkte Auswirkung auf die initiale Festigkeit des Implantats. Um einen möglichst ungestörten Wandel von der mechanischen zur biologischen Fixation (Osseointegration) zu ermöglichen, soll das Implantat eine hohe primäre Stabilität erreichen. Letztere beeinflusst auch die Entscheidung, ob eine unbelastete Einheilungsphase eingehalten werden muss oder ob eine sofortige Nutzung des Implantats als Träger einer (provisorischen) prothetischen Versorgung infrage kommt [1].

Abb 1: Struktur- und Konturwandel im zahnlosen Oberkiefer im Vergleich.

Abb 2: Struktur- und Konturwandel im zahnlosen Unterkiefer im Vergleich.

Abb 3: Variationen in Struktur und Kontur bei verschiedenen Patienten im UK nach mindestens einjährigem Zahnverlust.
Strukturelle Vorgaben des alveolären Knochens
Die knöchernen Strukturen des Processus alveolaris haben die Aufgabe, die Zähne zu stabilisieren und die über die Zahnwurzeln eingeleiteten Belastungsimpulse des Kauens zu kompensieren. Fehlen diese Impulse, reduzieren sich Kontur und Struktur – eine biologsche Konsequenz und eine Gesetzmäßigkeit, die sich so überall in Bereichen von Stütz- und Bindegewebe beobachten lässt. Der zeitliche Verlauf dieses als Atrophie beschriebenen Phänomens ist dabei individuell höchst unterschiedlich [2].
Sehr anschaulich lässt sich der Kontur- und Strukturwandel anhand von 3D-Aufnahmen (DVTs) darstellen, wenn auf der korrespondierenden Seite noch der eigene Zahn vorhanden ist (Abb. 1, 2). Dabei sind Unterschiede zu beobachten: Während sich im skelettal fixierten Oberkiefer nach dem Zahnverlust okklusal oft keine oder nur eine geringe Kortikalis ausbildet (Abb. 1), kommt es im gelenkig-muskulär aufgehängten Unterkiefer in der Regel okklusal zur Ausbildung einer dichten kortikalen Struktur, sodass eine spongiöse Regeneration weitgehend unterbleiben kann (Röhrenknochenphänomen; Abb. 2). Die biologische Variabilität ist sehr vielfältig und lässt sich vor implantologischen Eingriffen wiederum am besten durch eine 3D-Analyse verifizieren (Abb. 3).
Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Primärstabilität des Implantats
Die Länge und – mehr noch – der Durchmesser des Implantatkörpers bestimmen die Kontaktfläche zum anliegenden Knochen. Darüber hinaus vergrößern Geometrien wie Schrauben-, Nuten- oder perforierende Profile, einschließlich der heute üblichen Mikrostrukturen, die Gesamtoberfläche. Eine effektive Einflussnahme auf die erzielbare
Festigkeit erreichen wir bei kompromittierten Spongiosastrukturen mit kondensierenden Präparationstechniken. Das Prinzip besteht darin, ein im Vergleich zum Implantatkörper unterdimensioniertes Aufnahmelager zu gestalten. Dies kann prinzipiell auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen, die sich auch kombinieren lassen:
- Der letzte Präparationsschritt ist gegenüber dem Implantatdurchmesser verkleinert – das Implantat verdrängt den
Knochen beim Inserieren. - Das Implantatbett wird mit speziellen kondensierenden Instrumenten entlang der Peripherie des Implantatstollens verdichtet, bevor das Implantat inseriert wird.
- Kombination beider Verfahren: unterdimensionierte kondensierende Aufbereitung vor Implantatinsertion.
Für diese Techniken sind schraubenförmige Außenprofile der Implantatkörper – wie sie heute größtenteils vorliegen – von Vorteil. Besonders effektiv sind sogenannte progressive Schraubenprofile, die zum Teil – neben den kondensierenden Effekten – auch selbstschneidende Eigenschaften aufweisen können (Abb. 4).
Kondensierende Präparationstechniken
Kondensierende Präparationstechniken mit speziellen Handosteotomen wurden schon früh beschrieben [3] (Abb. 5). Mittlerweile gibt es eine Fülle von Anbietern für derartige Instrumente. Die Arbeitsweisen ähneln sich insoweit, als dass die zumeist längenkalibrierten Instrumente in eine Führungsbohrung eingesetzt bzw. eingeklopft werden, wodurch ein erster Kondensierungseffekt entsteht. Mit aufsteigenden Instrumentenkalibern und/oder durch manuelle Dreh- und Luxationsbewegungen wird die Kondensierung intensiviert, bis der gewünschte Durchmesser erreicht ist. Bei geringer Knochenwandstärke kann damit auch eine Knochenspreizung erreicht werden.
Es steht fest, dass diese Techniken Sensibilität und Erfahrung des Behandlers erfordern, um das rechte Maß in dem Bezugsdreieck Knochenqualität – Implantatdesign – Präparationstechnik, welches die Primärstabilität des Implantats bestimmt, einzuhalten. Ein zu stark komprimierter zervikaler kortikaler Knochenabschnitt kann beispielsweise als direkte Folge dieses Traumas resorbiert werden [4]. Verteilt sich dagegen die Kompression gleichmäßig über die gesamte Oberfläche, wird die Schädigungsschwelle später erreicht. Wo genau hier die Toleranzen liegen, ist für den menschlichen Knochen nicht bekannt.
EPS-Technik
Die EPS-Technik benutzt ausschließlich rotierende Instrumente und ist eingebettet in die Osteotomietechnik des myplant two-Systems (Hager & Meisinger); sie erlaubt ein differenziertes Eingehen auf die jeweilige Knochensituation. Neben der visuellen Einschätzung der lokalen Knochenqualität über das DVT spielt der Eindringwiderstand in den Knochen die entscheidende Rolle für die Wahrnehmung der Strukturdichte. Dieser ist zwar ein lediglich subjektiv ermittelter Wert, der sich aber durchaus perzipieren und mit zunehmender Routine memorieren lässt. Das subjektiv erfühlte Widerstandsmoment kann sich während des Bohrvorganges deutlich verändern; insbesondere nach Perforation der bedeckenden Kortikalis oder beim Auftreffen auf eine kortikale Begrenzung wird der Unterschied jeweils besonders evident.
Die Idee hinter der EPS-Technik ist, die Implantatbettpräparation in zwei Bereiche zu unterteilen: einen standardisierten Kernbereich und einen Außenbereich (Abb. 6). Letzterer lässt sich – je nach ermittelter Knochendichte – durch variable Anwendung der Präparationsinstrumente kondensierend, unterdimensioniert oder formkongruent gestalten, was die initiale Stabilität des Implantats signifikant beeinflusst.
a) Initiale Präparation
In einer ersten Sequenz wird die Implantatposition markiert und mit längenmarkierten Parallelbohrern der Kerndurchmesser des Implantatstollens in voller Länge präpariert (Abb. 7). Dabei wird der Eindringwiderstand des Bohrers wahrgenommen und in die Kategorien niedrig (A), mittel (B) und hoch (C) eingeteilt.
b) Finale Präparation
Kategorie A
Ein besonders widerstandsarmer Knochen erfordert als finale Präparation lediglich die zervikale Erweiterung auf den Implantatdurchmesser mittels eines Kortikalissenkers. Das Implantat agiert hier als selbstschneidende Schraube. Findet sich im Unterkiefer jenseits der kortikalen Deckschicht keine nennenswerte Spongiosa, muss die Implantatstabilisierung in dieser erfolgen. Das Implantat endet somit equikrestal (Abb. 8).
Kategorie B
Ist ein gewisser Eindringwiderstand während der Bohrung vorhanden, was in der Mehrzahl der Fälle so sein wird, kommt der konische Ausreiber zum Einsatz. Dieser entspricht in allen Variationen dem später einzusetzenden Implantatkörper in seiner Außenkontur ohne Gewinde. Das Instrument weist eine Schrägverzahnung auf, die rechtsdrehend (Uhrzeigersinn) schneidend, linksdrehend kondensierend wirkt.
In linksdrehender Anwendung kommt es zu einem Verdichtungseffekt der anliegenden Knochenstrukturen. Gelingt es, den Ausreiber dergestalt in die Endposition (1 mm subkrestal) zu bringen, kann danach das Implantat inseriert werden (Abb. 9). Erreicht man diese Position nicht, wird das Instrument nach Wechsel der Umdrehungsrichtung (Umschalten des Motors oder der Handratsche) im schneidenden Modus betrieben. Entsprechend wird Knochen abgetragen und mehr Freiraum für das Implantat geschaffen, dessen Außengewinde sich beim Inserieren in den anliegenden Knochen einarbeitet (Abb. 10).
Kategorie C
Ist der Bohrwiderstand über die gesamte Strecke hoch, ist besonders vorsichtig zu präparieren, da ein stark mineralisierter Knochen durch seine relative Gefäßarmut schlechter regenerationsfähig ist. In diesem Fall muss exakte Kongruenz zum Implantatkörper hergestellt werden und als letzter Präparationsschritt der Gewindeschneider zum Einsatz kommen (Abb. 11).
Im Gegensatz zu dem initial subjektiv zu ermittelnden Eindringwiderstand ist die Implantatstabilität am Ende der Insertion objektiv messbar, entweder über die Anzeige des Drehmoments (Ncm) oder die Messung der Dämpfungseigenschaften des anliegenden Knochens (ISQ, Periotest). Beim myplant two-System wird ein auf die Ratsche aufsetzbarer Drehmomentanzeiger bereitgestellt, deren skalierter Messbereich sich gut ablesen lässt und bis 60 Ncm exakt kalibriert ist (Abb. 12).
Mit einiger Routine stellt sich ein sicheres „Knochengefühl“ ein, was dazu führt, dass die hier im Rahmen der finalen Präparation beschriebenen Schritte auch untereinander kombiniert werden können – ganz im Sinne einer strukturadaptiven Implantatbett-Präparation. Es ist mit diesem Vorgehen mit wenigen Ausnahmen selbst in schwach strukturiertem Knochen ein finales Eindrehmoment von 30-40 Ncm zu erreichen, was eine transgingivale Einheilung (25-35 Ncm) oder eine sofortige provisorische Versorgung (> 35 Ncm) ermöglicht.

Abb 4: Nur der zervikale Anteil ist zylinderförmig, um Spannungsspitzen in der zervikalen Kortikalis zu vermeiden.

Abb. 5: Bone Spreading System nach Nentwig (Ustomed).

Abb 6: Kernbereich und Außenbereich der Präparationsgestaltung beim myplant two-System.

Abb. 7: Vorpräparation des Implantatbetts; subjektive Ermittlung des Eindringwiderstands.

Abb 8: Kortikalissenker bei äußerst strukturarmem Knochen; equikrestale Implantatposition.

Abb 9: Konischer Ausreiber im verdichtenden Modus angetrieben (gegen Uhrzeigersinn).

Abb 10: Konischer Ausreiber im abtragenden Modus angetrieben (im Uhrzeigersinn).

Abb 11: Konischer Ausreiber im schneidenden Modus + Gewindeschnitt.

Abb 12: Drehmomentanzeiger des myplant two-Systems.

Abb. 13: Radiologischer Ausgangsbefund.

Abb 14: Postoperatives Röntgenbild mit eingesetzter provisorischer Brücke (ProTemp).

Abb. 15: Zustand nach sechs Wochen.

Abb 16: Ausformung des Emergenzprofils vor Abdrucknahme mittels Übertragungskäppchen.

Abb. 17: Eingegliederte Brücke.

Abb 18: Finales Röntgenbild (Ausschnitt der Zervikalregionen).
Fallbeispiel
Ein 80-jähriger Patient benötigte eine prothetische Versorgung im 3. Quadranten. Es zeigte sich, dass der Zahn 34 nicht zu erhalten war (Abb. 13). Somit erhielt er ein Sofort- und zwei Spätimplantate mit dem myplant two-System. Mit der hier beschriebenen Präparationstechnik ließen sich bei allen Implantaten finale Drehmomente von über 30 Ncm erzielen, sodass eine sofortige provisorische Brückenversorgung mithilfe der hier vorhandenen Kunststoffkäppchen und einer über das prothetische Set up gefertigten Tiefziehschiene erfolgen konnte. Die Basis der Versorgung wurde mit Flow-Composite so gestaltet, dass sich von Anfang an ein geeignetes Emergenzprofil bilden konnte (Abb. 14).
Sechs Wochen später zeigten sich reizlose Verhältnisse (Abb. 15). Die initial verwendeten Standard-Abutments wurden beibehalten (‚one abutment one time‘-Konzept) und eine okklusal verschraubte viergliedrige Brücke eingegliedert (Abb. 16). Die abschließende Röntgenaufnahme dokumentiert die vollständige knöcherne Integration der typischerweise subkrestal gesetzten myplant two-Implantate (Abb. 17).
Diskussion
Die Möglichkeit einer verdichtenden Präparationstechnik mit rotierenden Instrumenten ist nicht neu und wurde in Form der konischen Ausreiber von den Autoren Nentwig und Moser bereits 1985 bei der Entwicklung des Ankylos-Systems (Dentsply Sirona) inauguriert [5]. Diese Idee wurde seitdem mancherorts kopiert und imitiert. Zuletzt wurde 2014 von der Firma Versah (Michigan, USA) die „Osseodensifikationstechnik“ propagiert, welche auf derselben Formgebung und Wirkungsweise der konischen Ausreiber beruht, mit dem Unterschied, dass die Densah-Instrumente eine schneidende Spitze aufweisen, also auch zugleich bohrend verwendet werden [6].
Tipp
Mithilfe der Ratsche mit Drehmomentanzeiger ist es zu jeder Zeit des Inserierens möglich, den Eindringwiderstand zu messen. Sollte das Drehmoment vor der finalen Implantatposition den Wert von 50 Ncm erreichen, kann das Implantat mittels des im Set enthaltenen Ausdrehschlüssels temporär entfernt und das Implantatbett entsprechend weiter aufbereitet werden (konischer Ausreiber rechtsdrehend; Gewindeschneider), um danach das Implantat in die Endposition zu bringen.
Hintergrund ist die gebotene Vorsicht, das Implantatbett nicht übermäßig unter Spannung zu setzen. Zwar sind hier genaue Grenzwerte, die zu Regenerationsproblemen oder primären Knochenschäden führen, nicht bekannt, andererseits bringt es keinen Vorteil, Widerstandswerte > 50 Ncm zu realisieren. Von Seiten der Implantat-Einbringeinheit sind Werte bis 80 Ncm möglich, ohne mechanische Schäden zu verursachen.
Zusammenfassung
Die EPS-Technik ist adaptiert auf das Progressivgewinde des myplant two-Systems und erlaubt ein sehr differenziertes Vorgehen in Abhängigkeit von der lokalen Strukturqualität des Knochens mit dem Ziel, eine möglichst hohe Primärstabilität des Implantats selbst im stark kompromittierten Implantatlager zu erreichen. Der klinische Vorteil ist darin zu sehen, dass in der Regel auf eine subgingivale Einheilung verzichtet werden kann. Mittels transgingivaler Elemente kann im Rahmen der Wundheilung sofort mit der Formung des Weichgewebsprofils begonnen werden, was – abgesehen von der nicht mehr erforderlichen Freilegungsoperation – eine deutliche Zeitersparnis bedeutet. In vielen Fällen erreichen die gemessenen finalen Drehwiderstände Werte von über 30 Ncm, was eine sofortige provisorische Prothetik ermöglicht.