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Viel Lärm um nichts

Um die Jahrtausendwende sah man in den Medien fast täglich Bilder von hilflos torkelnden Kühen, brennenden Tierkadavern und löchrigen Gehirnen. Mit der BSE-Krise fragten sich auch Anwender boviner Augmentationsmaterialien, welchen eventuellen Risiken Patienten ausgesetzt sein könnten. Im Jahr 2009 wurden zum bislang letzten Mal zwei Tiere in Deutschland positiv getestet. Dennoch flammt aktuell wieder die Diskussion um eine Prionen-Übertragung über bovine Materialien und die Gefahr der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung beim Menschen auf. pip stellte Dr. Thomas Braun, Geschäftsführer der Geistlich Biomaterialien Deutschland, zur Rede.

pip: Es gibt inzwischen sehr gute synthetische Alternativen zu bovinem Material – wieso sollte ich da überhaupt noch ein Risiko eingehen?

Thomas Braun: Die Frage ist zunächst, worauf Sie die Aussage, dass es sehr gute synthetische Alternativen gibt, stützen? In Hochglanz-Marketingbroschüren finden Sie das natürlich bestätigt, in wissenschaftlichen Datenbanken wird das schon schwieriger. Es ist immer noch erstaunlich, dass viele Materialien, die schon jahrelang auf dem Markt sind, keine klinischen Studien nachweisen können – von Langzeitergebnissen ganz zu schweigen. Die nächste Frage, die sich stellt, ist: Alternative für welche Indikation? Es ist ja durchaus so, dass nicht alle Materialien bei allen Indikationen funktionieren. Und dann bleibt noch die Frage, welches Risiko Sie sehen? Die Formel synthetisch = sicher, biologisch = riskant ist sicherlich zu einfach. Jedes Material durchläuft seinen eigenen Herstellungsprozess. Die unterscheiden sich zum Teil erheblich, sodass allgemeine Aussagen kaum zutreffen.

pip: Aber kein Rauch ohne Feuer. Derzeit kursieren wieder jene beiden Reviews von Kim et al. aus den Jahren 2011 und 2016, daneben soll es eine aktuelle neurologische Studie geben, die klar ein infektiöses Potenzial nachweist …

Thomas Braun: Zu diesen als „Systematic Review“ bezeichneten Artikeln gibt es einen von elf namhaften Wissenschaftlern verfassten ‚Letter to the Editor’. Diese Wissenschaftler weisen nach, dass die Autoren des Reviews etablierte Richtlinien für evidenzbasierte Medizin (EBM) nicht eingehalten haben. In insgesamt sechs Punkten zeigen sie auf, dass bei diesem Review fehlerhaft gearbeitet wurde. Den Autoren gelingt es weder irgendeine Evidenz für die Kontamination von bovinen Knochenersatzmaterialien mit Prionen nachzuweisen noch die Übertragung von Prionen durch bovines Knochenersatzmaterial auf einen einzigen Menschen nachzuweisen. Auch eine von der WHO eingeführte Klassifikation bezüglich Herkunft und Ausgangsmaterial findet keinerlei Berücksichtigung. Wenn man sich die Historie der BSE-Fälle anschaut, dann gab es einen Peak im Jahr 1992 mit 37.000 BSE-Fällen weltweit, davon 97 % in England. 2011 wurde noch von 15 Fällen weltweit berichtet. Das heißt, die Maßnahmen, die ergriffen wurden, waren sehr wirksam und effektiv. Selbst wenn man eine lange Inkubationszeit in Betracht zieht, wären die Fälle aus der Phase der BSE-Epidemie heute sichtbar. Hinzu kommt die enorme Verbreitung boviner Knochenersatzmaterialien, ohne dass eine Häufung von CJK feststellbar ist.

pip: Hat es jemals eine nachgewiesene Prionen-Übertragung oder gar einen vCJK-Fall nach Anwendung von Bio-Oss gegeben?

Thomas Braun: Geistlich Bio-Oss ist seit 30 Jahren auf dem Markt und es gibt keinen nachgewiesenen Fall einer Prionenübertragung. Es handelt sich bei CJK um eine meldepflichtige Erkrankung, sodass hier auch ein dichtes Monitoring stattfindet. Wir stellen aber schon im Produktionsprozess sicher, dass Proteine zerstört und entfernt werden. Diese Verfahren werden permanent streng auditiert und basieren auf etablierten Verfahren. Ich finde es nicht nur unseriös, sondern unverantwortlich, wenn im Wettbewerb mit solchen Artikeln „Angstwerbung“ betrieben wird. Wer das Review zitiert, muss auch den Letter to the Editor mit den aufgezeigten Mängeln zitieren. Dann bleibt allerdings wirklich nur viel Lärm um Nichts übrig.

pip:Besten Dank, Herr Dr. Braun, für dieses Gespräch

LESERKOMMENTAR ZUM BEITRAG „VIEL LÄRM UM NICHTS“

Der folgende Kommentar gibt die persönliche Meinung des Lesers wieder und steht nicht im Zusammenhang mit seiner derzeitigen Tätigkeit als Mitarbeiter eines Medizintechnikunternehmens.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Mit viel Aufmerksamkeit habe ich das Interview auf Seite 76 der pip 01/2018 verfolgt. Ich stimme Herrn Dr. Braun ausdrücklich zu, dass die Hersteller von Medizinprodukten – insbesondere Klasse III Produkte tierischer Herkunft – engmaschig auditiert und überwacht werden und dadurch qualitativ hochwertige und sichere Produkte bereitgestellt werden. Dabei – neben weiteren zu befolgenden Gesetzten, Richtlinien – setzt die EU Richtlinie 2003/32/EG weitreichende regulatorische Grenzen hinsichtlich der TSE- (der BSE-) Sicherheit, die bei der Bearbeitung von xenogenen Geweben befolgt und umgesetzt werden müssen [1]. Korrekterweise muss darauf hingewiesen werden, dass alle Maßnahmen die ergriffen werden als „Risikominimierung“ zu betrachten sind. Eine Anamnese in Form der „Spenderbefragung“ und serologische Test zur Prionen-Detektion der Rinder sind nicht vorgesehen. Bei Produkten xenogener und auch allogener (obwohl hier serologische Tests zwingend durchzuführen sind) Herkunft kann eine Krankheitsübertragung (bekannt und unbekannt) bzw. (allergische) Reaktionen nicht zu 100% ausgeschlossen werden. Darauf wird auch in den Beipackzetteln bzw. Patientenbroschüren entsprechender Produkte hingewiesen. Richtigerweise wurde von Dr. Braun wiedergegeben, dass es in den letzten Jahrzehnten keine BSE-Übertragung erfasst worden ist.

Im Rahmen der freien Verfügbarkeit der pip als epaper auf ihrer Website muss damit gerechnet werden, dass nicht nur Fachkreise auf diesen Artikel aufmerksam werden. Zu hinterfragen ist die Wahl des Titels „Viel Lärm um nichts“, ist doch die Sicherheit von Produkten aus Patientensicht eine zentrale Frage. Insbesondere die Kombination der Titelwahl mit den im Text verwendeten Schlagwörtern „Prionen-Übertragung“, „Gefahr der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung beim Menschen“, „BSE-Krise“, „Risiko“ könnte den Eindruck erwecken, dass weder die Fachkreise/Anwender noch die Industrie die Patientensicherheit genügend würdigen.

Das Interview kommentiert sehr umfänglich die Veröffentlichung von Kim et al. aus dem Jahr 2013) [2] (erwähnt werden muss, dass dieser Artikel bereits 2011 online erschien) und der von Herrn Dr. Braun erwähnte „Letter to the Editor“ von 11 Autoren [3] im Jahr 2016 (online verfügbar 2014). Dabei wird angeführt, dass der „Letter to the Editor“ – immerhin erst 3 Jahre !?! nach Veröffentlichung der Artikels von Kim et al. veröffentlicht – dargelegt, dass die Autoren um Kim et al. bei ihrer Veröffentlichung etablierte Richtlinien der evidenzbasierten Medizin nicht eingehalten haben. Dies ist aus meiner Sicht nicht der zentrale Punkt, dazu später mehr. Zu hinterfragen ist, warum der Review-Artikel – sollten in der Tat „etablierte Richtlinien“ nicht eingehalten worden sein – durch die Gutachter der Zeitschrift akzeptiert worden ist, ist doch die Zeitschrift „Clinical Implant Dentistry and Related Research“ mit einem Impact Faktor von 2,939 (Stand März 2018) ein angesehenes Journal. Erstaunlicherweise wurde im pip-Interview vergessen zu erwähnen, dass die Autoren um Kim et al. ihrerseits auf den „Letter to the Editor“ reagiert haben, um auf die ihnen nahegelegten Punkte Stellung zu nehmen [4]. Wenn, wie von Dr. Braun gefordert wird, den „Letter“ zu zitieren, dann bitte auch das Antwortschreiben auf den „Letter“ zitieren, damit ein lückenloser Gesamteindruck entsteht. Die Autoren um Kim et al. haben ihrerseits in einen zweiten publizierten Artikel das Thema weiter vertieft [5].

Dieser Ping-Pong Effekt erinnert sehr stark an einen Artikel aus dem Jahr 1999, bei dem festgestellt wurde, dass in einem xenogenen Knochenersatzmaterial Restproteine enthalten sind [6]. Auch damals fühlte sich eine renommierte Autorengruppe in der Pflicht diese Ergebnisse zu kommentieren und anzuzweifeln [7], worauf die Autoren abermals reagierten [8]. Weiterhin gab es eine Stellungnahme des Herstellers [9] zu einem Artikel mit dem Thema „Knochenersatz bovinen Ursprungs: eine Neubewertung!“ erschienen in der BDIZ konkret 2004.

Interessanterweise diskutieren alle Autoren der erwähnten Artikel [2, 5, 6] das Thema BSE-Sicherheit bzw. Übertragungsrisiko im Zusammenhang mit dem Vorhandensein von Restproteinen im untersuchten xenogenen Knochenersatzmaterial. Herr Dr. Braun weist darauf hin, dass schon im Produktionsprozess sichergestellt wird, dass „Proteine zerstört und entfernt werden“. Und dies ist der zentrale Punkt (in der Arbeit von Kim et al. [2]). Diese Aussage steht im Widerspruch zu den von Kim et al. zitierten Arbeiten, sowie zahlreichen weiteren Publikationen, die mit unterschiedlichen Messmethoden sehr wohl einen Restproteingehalt bzw. das Vorhandensein von organischen Strukturen in xenogenem Knochenersatzmaterial nachgewiesen haben [10-14] oder nicht ausschließen konnten [15]. Werden Sie als Leser an dieser Stelle nicht unsicher, aus regulatorischer Sicht wird nicht gefordert Proteine aus xenogenen Hartgeweben vollständig zu entfernen. Auch führen wir mit der Nahrung Unmengen an xenogenen organischen Proteinen unserem Körper zu. Proteine sind nichts Schlechtes, und die Fachkreise arbeiten täglich mit Membranen und Wundverbandmaterialien xenogener Herkunft, die zumeist aus Kollagen (=Strukturprotein) bestehen, dennoch wird die Diskussion um die vollständige Deproteinisierung von Knochenersatzmaterialien hartnäckig geführt. Wie bereits erwähnt, stellen die regulatorischen Anforderungen sicher, dass nur qualitativ hochwertige Produkte in den Verkehr gebracht werden. Da Prionen (BSE-Prionen) aber nichts weiter als Proteine sind, ist es mit geeigneten Herstellprozessen möglich, Proteinbestandteile aus Ursprungsgeweben zur späteren medizinischen Anwendung zu entfernen und somit die Thematik der Prionensicherheit zu beantworten. Sind nun Proteine in xenogenen Knochenersatzmaterialien enthalten oder nicht? Unterschiedliche Daten deuten darauf hin, Aussagen wie „Proteine zerstört und entfernt“ sollten nach neusten Erkenntnissen hinterfragt werden. Haben wir jetzt doch „mehr Lärm als Nichts“?

Ich stimme Dr. Braun weiterhin ausdrücklich zu, dass das Schüren von Ängsten und betreiben von Angstwerbung eine unseriöse Arbeitsweise ist. In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings an ein Interview in der Teamwork Cont Dent Educ 01/2016 Seite 20-22 erinnern, bei dem Herr Dr. Braun wie folgt zitiert wurde: „Hinzu kommen die Inhomogenität des Blockmaterials und letztendlich natürlich auch die Diskussion um die Sicherheit bei allogenem Blockmaterial.“Abgesehen von der nicht korrekten Wiedergabe bzgl. der (In)Homogenität (vgl. Spenderselektionskriterien und Überprüfung der Spendergewebe in [16]): Ist dieses Zitat ein ganz klein wenig Angstwerbung? Anscheinend sitzen alle in einem Boot.

Mit den besten Grüßen,
Ihr Stefan Berger

Referenzen:

  1. Europäische Kommission: Richtlinie 2003/32/EG, RICHTLINIE 2003/32/EG DER KOMMISSION vom 23. April 2003 mit genauen Spezifikationen bezüglich der in der Richtlinie 93/42/EWG des Rates festgelegten Anforderungen an unter Verwendung von Gewebe tierischen Ursprungs hergestellte Medizinprodukte. Official Journal of the European Union, 2003. L105: p. 18-23.
  2. Kim, Y., H. Nowzari, and S.K. Rich, Risk of prion disease transmission through bovine-derived bone substitutes: a systematic review. Clin Implant Dent Relat Res, 2013. 15(5): p. 645-53.
  3. Block, M.S., et al., Letter to the Editor Re: Kim, Nowzari, and Rich (2013). Clinical Implant Dentistry and Related Research, 2016. 18(1): p. 5-7.
  4. Nowzari, H., Y. Kim, and S.K. Rich, Response to Letter to the Editor: Are Bovine-Derived Bone Graft Materials Safe? Clinical Implant Dentistry and Related Research, 2016. 18(1): p. 8-9.
  5. Kim, Y., A.E. Rodriguez, and H. Nowzari, The Risk of Prion Infection through Bovine Grafting Materials. Clinical Implant Dentistry and Related Research, 2016. 18(6): p. 1095-1102
  6. Hönig, J.F. and H.-A. Merten, Risk of transmission of agents associated with Creutzfeldt-Jakob disease and bovine spongiform encephalopathy. Plastic and Reconstructive Surgery, 1999. 103(4): p. 1324-1325.
  7. Lang, N.P., et al., Risk of transmission of agents associated with Creutzfeldt-Jakob disease and bovine spongiform encephalopathy. Plastic and Reconstructive Surgery, 2000. 105(6): p. 2273-2274.
  8. Honig, J.F. and H.A. Merten, Risk of transmission of agents associated with Creutzfeldt-Jakob disease and bovine spongiform encephalopathy – Reply. Plastic and Reconstructive Surgery, 2000. 105(6): p. 2274-2275.
  9. Fa. Geistlich, O. Geistlich nimmt Stellung zu Kritik an bovinem Knochenersatzmaterial. aufgerufen März 2018; Available from: https://www.implantate.com/fach-implantologie-aktuell/geistlich-nimmt-stellung-zu-kritik-an-bovinem-knochenersatzmaterial.html.
  10. Paul, C., et al., Bovines Apatit — Wertigkeit beim Knochenersatz, in Osteologie aktuell VII, H.-J. Pesch, H. Stöß, and B. Kummer, Editors. 1993, Springer Berlin Heidelberg. p. 288-291.
  11. Huffman Jr, E.W.D. and R.L. Keil, Determination of trace organic carbon and nitrogen in the presence of carbonates in anorganic bovine bone graft materials. Microchemical Journal, 2003. 74(3): p. 249-256.
  12. Yeo, S.-I., et al., A comparative analysis of basic characteristics of several deproteinized bovine bone substitutes. The Journal of the Korean Academy of Periodontology, 2009. 39(2): p. 149-156.
  13. Bosetti, M., et al., Comparative in vitro study of four commercial biomaterials used for bone grafting. J Appl Biomater Funct Mater, 2013. 11(2): p. e80-8.
  14. Lee, D.S.H., Y. Pai, and S. Chang, Physicochemical characterization of InterOss® and Bio-Oss® anorganic bovine bone grafting material for oral surgery – A comparative study. Materials Chemistry and Physics, 2014. 146(1–2): p. 99-104.
  15. Tapety, F.I., et al., A histological evaluation of the involvement of Bio-Oss in osteoblastic differentiation and matrix synthesis. Clin Oral Implants Res, 2004. 15(3): p. 315-24.
  16. Bundesärztekammer, Richtlinien zum Führen einer Knochenbank. Deutsches Ärzteblatt, 2001. 98(15): p. A1011-A1016.