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Der unbezahnte Kiefer

Aufgrund des sehr breiten Themenfeldes der implantatprothetischen Versorgung im zahnlosen Kiefer und den damit verbundenen vielfältigen Fragestellungen konnten in der vorliegenden Literaturauswahl nicht alle Aspekte berücksichtigt werden. Wegen der hohen Anzahl an Studien zu diesem Thema war es zudem nur möglich, Veröffentlichungen aus den Jahren 2014-2017 zu berücksichtigen. Mit den Erkenntnissen aus dieser Literaturrecherche können weitere Aspekte dieses Themenfeldes noch gesondert abgehandelt werden. Grundsätzlich sei auf die Ergebnisse der Konsensuskonferenz der Foundation for Oral Rehabilitation und das dazu veröffentlichte Papier „Patientenzentrierte Versorgungskonzepte und optimale Implantatanzahl“ hingewiesen, das einen guten, evidenzbasierten Überblick zur Thematik gibt. Es ist festzustellen, dass die implantatgestützte prothetische Versorgung zahnloser Patienten die Kaufähigkeit wesentlich verbessert und sie zufriedener macht [Boven, et al., 2015, von der Gracht, et al., 2016, Elsyad und Shawky, 2017]. Unklar ist jedoch, inwieweit sich die Behandlung positiv auf die Lebensqualität auswirkt.

Bekanntlich stehen zur implantatprothetischen Versorgung des zahnlosen Kiefers unterschiedliche prothetische Designs sowie Insertions- und Belastungsprotokolle zur Verfügung.

In Bezug auf die beiden letztgenannten Punkte wird der Fokus in vielen neueren Publikationen auf die Sofortversorgung und Sofortbelastung gelegt, da mit diesen Versorgungsformen eine kürzere Behandlungsdauer und eine geringere Belastung des Patienten einhergehen. Ausgehend von Einjahresergebnissen einer randomisiert kontrollierten klinischen Studie (RCT) konnten zwischen Implantaten, die sofort belastet wurden, gegenüber Implantaten, die einem konventionellen Belastungsprotokoll ausgesetzt worden waren, keine statistisch signifikanten Unterschiede bezüglich Überlebensraten (in beiden Studiengruppen 100,0 %), Sulkusfluid, Plaque Index, modifiziertem Gingiva Index, Ausmaß an Weichgewebsverlust, der Breite keratinisierter Mukosa und dem Auftreten einer Mukositis ermittelt werden [Pellicer-Chover, et al., 2014]. In einer weiteren RCT waren bei Patienten, die mit vier sofortbelasteten Implantaten im interforaminalen Bereich im Unterkiefer versorgt worden waren, nach einem einjährigen Follow up ebenfalls vergleichbare Überlebensraten im Vergleich zu konventionell belasteten Implantaten feststellbar [Alfadda, 2014].

Dabei war in dieser Studie bei sofortbelasteten Implantaten ein signifikant erhöhter krestaler Knochenverlust zu beobachten, den die Autoren dem Einfluss der Belastung des Knochens auf die noch nicht abgeschlossenen Heilungs- und Remodellierungsprozesse im Implantatbereich zuordnen. Bei vier bis sechs sofortbelasteten Implantaten konnten im Vergleich zu konventionell belasteten sechs bis neun Implantaten im Oberkiefer nach sechs Jahren vergleichbare Überlebensraten beobachtet werden [Tealdo, et al., 2014]. Im Rahmen des klinischen Follow up war im Gegensatz zur vorherigen Studie ein geringerer krestaler Knochenverlust bei den sofortbelasteten Implantaten zu beobachten. Die Anzahl Implantate und ihre Lokalisation hatten nach einer mehrjährigen Beobachtungsdauer keinen statistisch signifikanten Einfluss auf ihre Überlebensraten [Henningsen, et al., 2016, Niedermaier, et al., 2017]. Offensichtlich ist eine erfolgreiche Sofortbelastung auch auf weniger als vier Implantaten möglich.So konnten sowohl bei Abstützung auf zwei wie auch drei Implantaten ein halbes bzw. ein Jahr nach Belastung keine Implantatverluste und keine Unterschiede in Bezug auf krestale Konchenverluste festgestellt werden [Cannizzaro, et al., 2016a, Cannizzaro, et al., 2016b]. Auch in einem systematischen Review konnten keine signifikant unterschiedlichen Einjahres- bzw. Fünfjahresüberlebensraten in Anhängigkeit vom Belastungsprotokoll ermittelt werden [Papaspyridakos, et al., 2014a, Papaspyridakos, et al., 2014b]. Allerdings wiesen die Autoren gleichzeitig darauf hin, dass die Ergebnisse wegen vieler nicht berücksichtigter Einflussfaktoren mit Vorsicht interpretiert werden müssen. Eine Übersichtsarbeit und eine Metaanalyse kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Demnach führt ein konventionelles Belastungsprotokoll zu einem geringeren Verlustrisiko und tendenziell zu besseren Ergebnissen bei implantatbezogenen Parametern als eine Sofortbelastung [Sanz-Sanchez, et al., 2015, Schimmel, et al., 2014].

Die Ergebnisse eines anderen systematischen Reviews bestätigen, dass die Anzahl Implantate auf implantatbezogene Parameter einen eher untergeordneten Einfluss hat [Mericske-Stern und Worni, 2014]. Eine weitere systematische Übersichtsarbeit stützt diese Erkenntnisse zumindest für festsitzende Vollversorgungen im Unterkiefer, indem darauf verwiesen wird, dass bei Verwendung von vier bzw. auch zwei Implantaten geringe Verlust- sowie Komplikationsraten beobachtet werden konnten [Moraschini, et al., 2016]. Im Gegensatz dazu deuten die Ergebnisse einer anderen Übersichtsarbeit jedoch eher darauf hin, dass mit steigenden Verlustraten gerechnet werden muss, je weniger Implantate zur prothetischen Abstützung verwendet werden [Kern, et al., 2016]. Schließlich kommen die Autoren eines groß angelegten systematischen Reviews zum Schluss, dass im zahnlosen Oberkiefer – bei Beachtung bestimmter Parameter wie die Durchführung einer angemessenen Diagnostik, die richtige Umsetzung des notwendigen umfassenden Fachwissens und eine gute Kommunikation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker – mit jedem Behandlungsansatz ein Behandlungserfolg erzielt werden kann [Gallucci, et al., 2016]. Die Studienlage zur notwendigen Anzahl Implantate und zum optimalen Insertionszeitpunkt bei der Versorgung zahnloser Kiefer bleibt auf Grundlage der exemplarisch zitierten Untersuchungsergebnisse daher uneindeutig. Gerade aus diesem Grund könnten nicht zuletzt eher patientenspezifische Gründe bei der Behandlungsentscheidung den Ausschlag geben, minimalinvasive implantatprothetische Konzepte wie die Columbus Bridge und das All-on-Four-System als Alternativen zur konventionellen Implantattherapie und zu augmentativen Verfahren zu wählen, da sie – neben der Zeit- und Kostenersparnis – offensichtlich zu einer höheren Patientenzufriedenheit führen [Laleman, et al., 2016, Pommer, et al., 2014]. Dabei werden den minimalinvasiven Verfahren mit Sofortversorgung relativ vielversprechende Kurzzeitergebnisse bescheinigt [Patzelt, et al., 2014].

Die distal geneigte Insertion der endständigen Implantate soll dazu führen, Augmentationen in posterioren Abschnitten des Alveolarfortsatzes zu vermeiden und um ein möglichst großes Unterstützungspolygon für die prothetische Rekonstruktion zu erreichen. In mehreren klinischen Studien wurde der Einfluss geneigter Implantate auf die krestalen Knochenlevel untersucht, ohne dass dabei signifikante Unterschiede zu axial inserierten Implantaten erkennbar waren [Crespi, et al., 2012, Del Fabbro und Ceresoli, 2014, Francetti, et al., 2012]. Eine Verblockung von sofortbelasteten Implantaten mittels eines Metallgerüsts hat keinen Einfluss auf die Implantatstabilität und die Überlebensraten im Vergleich zur Versorgung mittels einfacher Prothesen aus Acrylat [Crespi, et al., 2012, Thome, et al., 2015].

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