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Die Bedeutung des Implantationszeitpunktes

Der Einsatz dentaler Implantate erfolgte während der 70er- und frühen 80er-Jahre vornehmlich im bereits ausgeheilten Kieferknochen. Mit Entwicklung des Tübinger Sofortimplantats wurde das Konzept einer Sofortimplantation erstmalig vorgestellt. International war dieses System wenig bekannt und erste Misserfolge trugen nicht unbedingt zu dessen Verbreitung bei. Erst in den 90er-Jahren gewann die Sofortimplantation zunehmend an Popularität. Als Vorteile einer Sofortimplantation werden u. a. die verkürzte Behandlungszeit und der mögliche Erhalt des Alveolarkammvolumens betrachtet, da angenommen wird, dass Sofortimplantate die Resorptionsvorgänge in der Extraktionsalveole minimieren und zu einer Ridge Preservation beitragen können. Neben der Implantation in frische Extraktionsalveolen und im ausgeheilten Alveolarknochen werden in der Literatur auch weitere Insertionsprotokolle beschrieben. Leider jedoch ist die Terminologie nicht einheitlich, so dass z. T. gleiche Begrifflichkeiten für unterschiedliche Insertionszeitpunkte verwendet werden, wodurch es zu Einschränkungen in der Vergleichbarkeit von Studienergebnissen kommt.

Bereits im kurz & schmerzlos-Beitrag in pip 3/2015 wurde auf die Unterschiede in der Nomenklatur des Insertionszeitpunkts hingewiesen. Im Rahmen der dritten (2003) und vierten ITI-Konsensuskonferenz (2008) wurden vier Zeitintervalle definiert, die als weitestgehend akzeptiert gelten (siehe Tabelle). Der häufig in der Literatur genannte und u. a. im letzten Cochrane Review zum optimalen Insertionszeitpunkt von Implantaten verwendete Begriff der Typ 4- bzw. verzögerten Implantation (delayed placement, Insertion frühestens zwei Monate nach Extraktion, nicht in der Tabelle aufgeführt) [Esposito, et al., 2010] wird entsprechend der Ergebnisse der ITI-Konsensuskonferenzen nicht mehr verwendet.

Grundsätzlich sollte daher in den wissenschaftlichen Abstracts ein Hinweis auf die Definition des Insertionszeitpunkts hingewiesen werden, um dem Leser eine zeitliche Einordnung der Implantatbehandlung zu ermöglichen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall und es ist eine gewisse Variationsbreite bei der Verwendung der Begrifflichkeiten zu beobachten. So sprechen manche Autoren von einer immediate-delayed Implantation sechs Wochen nach Extraktion, wenn es sich im Grunde um eine Typ 2-Frühimplantation (early placement) handelte [Esposito, et al., 2017]. Die Typ 4-Implantation wird von verschiedenen Studiengruppen noch immer und dann hinsichtlich ihres zeitlichen Aspekts auch variabel verwendet. Es kann sich dabei um eine Implantatinsertion handeln, die vier [Esposito, et al., 2015, Esposito, et al., 2017, Felice, et al., 2015] oder auch sechs Monate [Pellicer-Chover, et al., 2014] nach Extraktion durchgeführt wurde. Das ist nicht verwunderlich, denn nach Lesart des Cochrane Reviews aus dem Jahr 2010 sind alle Implantationen, deren Durchführung zwei Monate oder mehr nach Zahnextraktion erfolgen, im Grunde Typ 4-Implantationen. Zielparameter des optimalen Insertionszeitpunkts von Implantaten sind vorwiegend neben ästhetischen Aspekten die Überlebensraten der Implantate sowie Remodellierungsvorgänge im Knochen. So hatte der Insertionszeitpunkt bzw. der Heilungszustand des Implantatlagers in mehreren systematischen Übersichtsarbeiten offensichtlich keinen signifikanten Einfluss auf das Hart- und Weichgewebe im periimplantären Bereich [Goiato, et al., 2017, Kinaia, et al., 2017, Weigl und Strangio, 2016, Yan, et al., 2016].

Weitere systematische Reviews berichten zwar von vergleichbaren ästhetischen Ergebnissen nach Typ 1- bzw. Typ 2- und Typ 3-Implantationen, es wurde allerdings ein erhöhtes Rezessionsrisiko bei Sofortimplantaten beobachtet [Chen und Buser, 2014]. In einer Übersichtsarbeit [Shi, et al., 2015] und einer RCT [Esposito, et al., 2015] konnten ebenfalls keine signifikanten Unterschiede im Pink Esthetic Score (PES) bzw. im PES und im WES (White Esthetic Score) in Abhängigkeit vom Insertionsprotokoll ermittelt werden. Eine Untersuchung der gleichen Studiengruppe um Esposito et al. zwei Jahre später ergab im Gegensatz dazu einen signifikant besseren PES bei Sofortimplantaten im Vergleich zu verzögert eingesetzten Implantaten (vier Monate nach Extraktion) [Esposito, et al., 2017]. In einer klinischen Vergleichsstudie waren ebenfalls nach Sofortimplantation signifikant bessere ästhetische Ergebnisse zu beobachten als nach Implantation im ausgeheilten Kieferknochen [Mangano, et al., 2017]. Sofortimplantate sollen auch zu einem signifikant besseren Erhalt des krestalen Knochens führen, der sich jedoch klinisch nicht relevant auswirkt [Chrcanovic, et al., 2015].

Der Einfluss des jeweiligen Biotyps wird kontrovers dargestellt. Einerseits soll bei Probanden mit einem dicken Biotyp ein geringeres Rezessionsrisiko bei Sofortimplantation bestehen [Chen und Buser, 2014, Kinaia, et al., 2017]. Andererseits wird mit dem Biotyp von anderen Autorengruppen ein eher geringer Einfluss auf das Weichgewebsverhalten in Abhängigkeit vom Implantationszeitpunkt in Zusammenhang gebracht [Cosyn, et al., 2012, Weigl und Strangio, 2016]. Auch bei den Überlebensraten sind die Ergebnisse nicht eindeutig. Eine Metaanalyse ergab eine signifikant höhere Überlebensrate von verzögert eingesetzten Implantaten (ohne Angabe des genauen Insertionszeitpunkts) gegenüber Sofortimplantaten nach einem Jahr unter Funktion [Del Fabbro, et al., 2015].

Auch ein aktueller systematischer Review ergab signifikant höhere Verlustraten bei Sofortimplantaten [Mello, et al., 2017]. Demgegenüber konnten in anderen Veröffentlichungen keine unterschiedlichen Implantatüberlebensraten in Abhängigkeit vom Insertionszeitpunkt ermittelt werden [Checchi, et al., 2017, Felice, et al., 2015, Han, et al., 2016, Huynh-Ba, et al., 2016, Ketabi, et al., 2016, Kim und Yoon, 2017, Kohen, et al., 2016, Schropp und Wenzel, 2016, Zuffetti, et al., 2017]. Auch wenn aus der vorliegenden Literaturauswahl tendenziell erkennbar ist, dass sich Sofortimplantationen im klinischen Endergebnis vielfach nicht von Implantationen im ausgeheilten Knochen unterscheiden, sollte die Entscheidung für eine Sofortimplantation aufgrund der unklaren Studienlage mit Vorsicht und unter Abwägung patientenspezifischer Risikofaktoren getroffen werden.

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