Bereits in der ersten Ausgabe der pip im Jahr 2019 wurde die Bedeutung von Funktionsstörungen für die Implantologie anhand einer Literaturauswahl vorgestellt. Das Thema der aktuellen Ausgabe bezieht sich ebenfalls auf die gleiche Thematik und legt insbesondere den Fokus auf Bruxismus und CMD. Erkenntnissen einer Übersichtsarbeit aus 2023 zufolge stufte das Autorenteam die weltweite Prävalenz eines Wachbruxismus mit 15,44 % als sehr niedrig ein [Archer, et al., 2023].
Die Ergebnisse eines weiteren Reviews aus dem gleichen Jahr zeigten anhand zweier Metaanalysen mit Daten aus Zufallsstichproben/populationsbasierten Untersuchungen einen Wachbruxismus von 32,08 % bzw. 16,16 % [Oliveira, et al., 2023]. Subgruppenanalysen ergaben große populationsabhängige und geschlechtsspezifische Streubreiten von 14.0-32,0 % bei Frauen und 19,0-50,0 % bei Männern.
Die Autoren stuften die Prävalenzraten als relevant ein und empfahlen die möglichst frühzeitige Diagnose eines Wachbruxismus, um gegen negative Konsequenzen für das orofaziale System anzugehen. In einem Umbrella Review aus 2019 wurde festgestellt, dass deutlich mehr Erkenntnisse über Schlafbruxismus als über Wachbruxismus vorliegen. Dort wurde über Prävalenzraten eines Wachbruxismus bei Erwachsenen berichtet, die zwischen 22,0-30,0 % lagen [Melo, et al., 2019]. In Bezug auf den Schlafbruxismus wurden bei Erwachsenen niedrigere Prävalenzraten von 1,0-15,0 % beobachtet. Offensichtlich wird dabei die Bestimmung der Bruxismus-Prävalenz von der jeweiligen Messmethode beeinflusst [Melo, et al., 2019, Zieliński, et al., 2024]. Die Studienlage lässt auf einen signifikanten Einfluss eines Bruxismus auf biologische und technische Probleme im Zusammenhang mit einer Implantatversorgung schließen. Der Einfluss eines Bruxismus auf periimplantäre Knochenverluste ist derzeit jedoch unklar. Einerseits wird von einem hohen Einfluss berichtet [Al-Kilani, et al., 2023, Bredberg, et al., 2023, Yang, et al., 2023], während in anderen Untersuchungen keine Unterschiede zwischen Probanden mit und ohne Bruxismus beobachtet wurden [Tabrizi, et al., 2022].
Andere klinische Untersuchungen berichteten von ausgezeichneten Überlebensraten sowohl der Implantate als auch der prothetischen Suprastrukturen [Matalon, et al., 2022]. Auf Grundlage dieser Beobachtungen liegt der Schluss nahe, dass Implantatverluste bei Patienten mit Bruxismus – anders als bei Patienten ohne Bruxismus – in erster Linie nicht durch eine entzündliche Ursache infolge einer Periimplantitis, sondern eher durch technische Komplikationen wie Implan- tatfrakturen bedingt sein könnten. So wurden in mehreren Publikationen hohe Risiken für Implantatfrakturen infolge einer biomechanischen Überlastung durch einen Bruxismus beschrieben [Chrcanovic, et al., 2020, Manfredini, et al., 2024]. Risiken für Implantatbrüche durch einen Bruxismus könnten durch den Einsatz von Implantaten mit einem breiteren Durchmesser reduziert werden [Manfredini, et al., 2024]. Noch häufiger als auf Implantatfrakturen scheint sich ein Bruxismus auf prothetische Komplikationen durch Chipping an der Keramikverblendun [Chrcanovic, et al., 2020, Heller, et al., 2022, Larsson, et al., 2023], okklusale Abrasionen [Koenig, et al., 2019, Papaspyridakos, et al., 2020], Verluste der Kunststofffüllung des Schraubenkanals [Nikellis, et al., 2023, Papaspyridakos, et al., 2020], Frakturen des Zahnersatzes [Coltro, et al., 2018, Larsson, et al., 2023, Manfredini, et al., 2024, Papaspyridakos, et al., 2020] oder Lockerungen/Frakturen der Prothetik-/Abutmentschrauben [Chrcanovic, et al., 2020, Laumbacher, et al., 2021, Papaspyridakos, et al., 2020] zu äußern. Technische Komplikationen wie ein Chipping könnten durch den Einsatz monolithischen Zirkonoxids oder entsprechend angepasste Okklusionskonzepte umgangen werden [Laumbacher, et al., 2021].
Als weitere Möglichkeiten zur Prävention biologischer und technischer Komplikationen werden Okklusionsschienen und Botulinumtoxin (BTX) beschrieben. In vitro-Studien deuten auf eine Spannungsreduktion im Bereich der Implantate, der Abutmentschrauben und in der periimplantären Kortikalis beim Einsatz von Okklusionsschienen hin [Andrade, et al., 2024, Borges Radaelli, et al., 2018, Silva, et al., 2021] und klinische Studien konnten zeigen, dass Schienen zu einer Verringerung technischer Komplikationen führen können [Ali, et al., 2021, Chochlidakis, et al., 2020]. Zur Verringerung von Symptomen eines Bruxismus scheinen sich sowohl Schienen als auch der Einsatz von BTX gleichermaßen zu eignen [Ali, et al., 2021, Chen, et al., 2023]. Dabei wird der Einsatz von BTX kontrovers diskutiert [Patel, et al., 2019] und eine etablierte Methode zur Behandlung eines Bruxismus steht derzeit offensichtlich noch aus [Goldstein, et al., 2021].