Geht es nach den Fachmessen, -kongressen und auch den dentalen Fachzeitschriften, müsste jede Zahnarztpraxis inzwischen auf strammstem Wege zur kompletten Digitalisierung sein. Effizienz- und Präzisionssteigerung, Bewältigung des Fachkräftemangels, Work-Life-Balance bzw. Verbinden von Beruf und Familie – lässt sich alles bestens damit lösen. Gleichzeitig wird immer mehr betont, dass auch die Zahnarztpraxis betriebswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und die Zahnärztin/ der Zahnarzt heute mindestens ebenso Unternehmer wie Arzt sein sollte. Dann stellen wir die Digitalisierung doch mal auf den BWL-Prüfstand.
Interview mit Anita Spörl, Steuerberaterin, und Dr. Markus Spörl, Zahnmedizin, Implantologie, Ästhetik
Was gab für Sie den Anstoß, sich mit den digitalen Techniken für Ihre Praxis zu beschäftigen?
Markus Spörl: Schon bei der Übernahme der väterlich geführten Zahnarztpraxis hatte ich eine starke Affinität zu Technik und IT. Doch die wirklich dringende Notwendigkeit, sich intensiv mit der Digitalisierung zu beschäftigen, ergab sich aus den wachsenden Herausforderungen, die heute viele Praxen betreffen. In Zeiten, in denen der Fachkräftemangel zu einem entscheidenden Engpass wird, binden analoge Arbeitsweisen wertvolle Personalkapazitäten und reduzieren die Zeit für das Wesentliche: die zahnmedizinische Behandlung, den direkten Patientenkontakt und nicht zuletzt auch die Zeiten für die eigene Familie. Hinzu kam, dass unsere Behandlungsabläufe den modernen Möglichkeiten hinterherhinkten, was durch die fehlende Integration in digitale Systeme zu erhöhten Kosten und unnötigem Aufwand führte. Gleichzeitig stiegen, nicht zuletzt durch die galoppierende Inflation, die allgemeinen Kosten wie Personalkosten und Material- und Energiekosten, während die Gewinnmargen weiter schrumpften. In diesem Kontext wurde mir schon damals klar, dass die Zukunftsfähigkeit unserer Praxis nur durch eine sukzessive und umfassende Digitalisierung gesichert werden kann. Besonders im Vergleich zu großen, investorengeführten Medizinischen Versorgungszentren, die auch in unserer Region zunehmend den Markt dominieren, bietet die Digitalisierung nicht nur eine Chance, wettbewerbsfähig zu bleiben, sondern auch die Effizienz und Präzision der Behandlungen zu steigern. All diese Überlegungen machten es für mich unumgänglich, den Schritt in Richtung vollständiger Digitalisierung zu gehen – ein Schritt, der inzwischen nicht nur die Praxis, sondern auch mein berufliches und privates Leben nachhaltig positiv beeinflusst.
Die Zukunftsfähigkeit der Praxis kann nur durch eine sukzessive und umfassende Digitalisierung gesichert werden.
Sehen Sie den größten Nutzen im organisatorischen Bereich – auch beim Team – beim Patienten, oder im klinischen Feld?
Markus Spörl: Die Digitalisierung in unserer Praxis ist weit mehr als nur ein technisches Upgrade – sie ist der Schlüssel zur Bewältigung der Herausforderungen, die den Praxisalltag heute bestimmen. Der zusätzliche Einsatz von KI-gestützter Technik steigert die Effizienz und Präzision, besonders im klinischen Umfeld, und führt zu besseren und viel schnelleren Ergebnissen und größerer Patientenzufriedenheit. Das ‚60-Minuten-Konzept‘ von Nobel Biocare zum Beispiel zeigt, wie entscheidend die Übernahme und Verknüpfung von Arbeitsvorgängen durch digitale Workflows ist. Zeit ist der größte Kostenfaktor in der Praxis, und hier ist die Digitalisierung der Gamechanger: Sie entlastet Personal und Behandler, optimiert Ressourcen und schafft Freiraum für das Wesentliche.
Betriebswirtschaftliche Daten korrekt auszuwerten ist in Ihrer Praxis Familiensache…
Anita Spörl: Ja genau – als Steuerberaterin bin ich Expertin rund um das Thema Steuerrecht und kümmere mich dementsprechend in der Praxis meines Mannes um alle steuerlichen Themen wie die Finanzbuchhaltung, den Jahresabschluss, die Umsatzsteuerdeklarationen, die Lohnbuchhaltung usw. Dabei sollen die steuerlichen Vorschriften natürlich korrekt und gleichzeitig möglichst optimal angewendet werden. Das bedeutet, dass wir Möglichkeiten für Vorsteuerabzüge wie z. B. bei der Heilbehandlung im Gegensatz zur Eigenlaborleistung, aber auch Abschreibungspotentiale wie z. B. die digitale Sofortabschreibung und natürlich auch Steueranreize und -erleichterungen vom Gesetzgeber eingehend prüfen und für unsere Praxis entsprechend umsetzen. Um dies zu erreichen, ist es unabdingbar, die spezifischen Strukturen und Abläufe in der Zahnarztpraxis genau zu kennen. Hierfür ist ein enger Austausch mit meinem Mann als Zahnarzt ganz wesentlich, da es für mich als Steuerberaterin alleine oft schwer ist, die zahnmedizinischen Begrifflichkeiten und spezifischen Prozesse zu verstehen. Sie können sich vorstellen, wie unsere abendlichen Tischgespräche manchmal ausfallen. (lacht dabei) Als Steuerberaterin liegt für mich ebenfalls der größte Vorteil der Digitalisierung in der erheblichen Zeitersparnis durch schnelle und präzise Datenanalysen.
Diese Technologien ermöglichen es mir, fundierte Entscheidungen auf einer soliden, datengestützten Basis zu treffen und gleichzeitig die betriebswirtschaftliche Steuerung der Praxis effizienter zu gestalten.
Ergänzend ist noch zu erwähnen: Wir behalten die relevanten Kennzahlen stets im Blick und prüfen die Dokumentation in regelmäßigen Abständen, um Risiken bei Betriebsprüfungen zu minimieren. Compliance-Themen und die Finanzbuchhaltung werden monatlich überprüft, um mögliche Engpässe frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Auch Steuer-Vorauszahlungen, Nachzahlungen und Erstattungen haben wir immer im Auge, um die Liquidität der Praxis sicherzustellen. Über die Jahre habe ich mir ein sehr spezifisches Fachwissen angeeignet, das ich im Rahmen von Fortbildungen und individueller steuerlicher Beratung auch an andere zahnmedizinische Praxen weitergebe. Jede Praxis ist einzigartig, und die individuellen Gegebenheiten müssen genau abgeklärt werden, insbesondere in Bereichen wie zum Beispiel dem Eigenlabor. Durch diese Spezialisierung kann ich den Zahnarztkolleginnen und -kollegen meines Mannes helfen, die steuerlichen Aspekte ihrer Praxis optimal zu gestalten und langfristig erfolgreich zu sein.
Sie haben also im Griff, nach welcher Zeit ein Scanner sich z.B. rechnet?
Anita Spörl: Das lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten, da jede Investition in Bezug auf die jeweilige Praxisstruktur individuell zu betrachten ist. Grundsätzlich gehören Investitionen in die eigene Praxis jedoch zu den vielversprechendsten und, besonders im Vergleich zu anderen, relativ risikoarmen Maßnahmen. Insbesondere im Hinblick auf die Zeitersparnis – um die Worte meines Mannes zu verdeutlichen – die als kostenintensivster Faktor in einer Praxis gilt, spielen solche Investitionen eine entscheidende Rolle. Durch Investitionen, die die Arbeitsprozesse beschleunigen und die Effizienz steigern, lässt sich die Wertschöpfungskette signifikant optimieren. Dies trägt nicht nur zur Effizienzsteigerung bei, sondern auch zur Verbesserung der Rentabilität. Zudem können durch steuerliche Anreize wie Abschreibungen, Gewinnverrechnungen und Vorsteuerabzugsmöglichkeiten die finanziellen Vorteile solcher Investitionen weiter maximiert werden.
Diese Faktoren werden sorgfältig abgewogen, um sicherzustellen, dass Investitionen, beispielsweise in einen Scanner, wirtschaftlich sinnvoll sind und sich rasch amortisieren.
Markus Spörl: Die Einführung digitaler Technologien wie eines Scanners verbessert nicht nur die internen Abläufe, sondern stärkt auch die Außenwahrnehmung der Praxis. Für Patienten steht der Einsatz modernster Technik für Vertrauen, Professionalität und hohe Behandlungsqualität, was ihre Zufriedenheit und Praxisbindung erhöht. Für das Team bedeutet der digitale Workflow eine erhebliche Entlastung von routinemäßigen Aufgaben und die Möglichkeit, an vorderster Front der zahnmedizinischen Entwicklung mitzu- arbeiten. Das stärkt den Stolz auf die eigene Arbeit und motiviert zur kontinuierlichen Weiterentwicklung. In Zeiten des Fachkräftemangels macht eine digital ausgerichtete Praxis den Arbeitsplatz zudem attraktiver, da sie moderne Arbeitsbedingungen und innovative Behandlungsansätze bietet. Dies ist ein entscheidender Faktor, um qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Besonders freue ich mich darüber, mit neuen Techniken die Grenzen des Möglichen auszuloten und so den maximalen Behandlungserfolg zu erzielen. Die Digitalisierung eröffnet uns eine Vorreiterrolle, während analoge Methoden zunehmend an ihre Grenzen stoßen.
Eine digital ausgerichtete Praxis macht in Zeiten des Fachkräftemangels den Arbeitsplatz attraktiver.
Wo lagen die – selbst leiseren – krachenden Stellen bei der Installation der neuen Technologien, sowohl bei Ihnen selbst, beim Team, vielleicht auch beim Patienten?
Markus Spörl: Als Erstanwender neuer digitaler Technologien, wie beispielsweise des ‚60-Minuten-Konzepts‘ mit dem XGuide-System, war mir von Anfang an bewusst, dass es eine gewisse Lernkurve geben würde. Eine der größten Herausforderungen bestand darin, das OP-Feld nicht mehr direkt zu beobachten, sondern sich von der Technik über einen Monitor führen zu lassen – ein Prozess, der ein hohes Maß an Vertrauen in die Technologie erforderte. Doch nach kurzer Zeit, besonders bestätigt durch Röntgenkontrollbilder, zeigte sich schnell, dass die Präzision dieser Systeme enorm war. Diese Erkenntnis gab uns die nötige Sicherheit und bestätigte, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen hatten. Es war wichtig, das Team schrittweise an die neuen Technologien heranzuführen und dabei darauf zu achten, niemanden zu überfordern. Vieles war neu, und wir mussten sicherstellen, dass die Einführung in einem Tempo erfolgte, das für alle tragbar war. Gleichzeitig war es entscheidend, den Patienten die Vorteile dieser neuen Technik zu vermitteln, was ebenfalls Zeit beanspruchte – zusätzlich zum normalen Praxisalltag. Sobald die anfänglichen Hürden überwunden waren, stellte sich aber schnell ein Gefühl der Sicherheit ein, und das Team begann, die Arbeit mit den neuen Technologien richtig zu genießen. Heute profitieren wir alle von der Präzision und Effizienz, die uns diese Systeme bieten, und ich bin stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben.
Würden Sie Kolleginnen und Kollegen also Mut machen wollen, sich mit der Digitalisierung ihrer Praxis zu befassen und zu investieren?
Markus Spörl: Definitiv ja! Die Investition in die Digitalisierung der Praxis ist nicht nur ein technischer Fortschritt, sondern vor allem eine strategische Entscheidung, die uns hilft, Zeit als wertvollste Ressource optimal zu nutzen. Das ‚60-Minuten-Konzept‚ steht sinnbildlich für das, was durch digitale Transformation möglich wird: Arbeitsprozesse, die früher zeitintensiv und ressourcenaufwendig waren, lassen sich jetzt in kürzester Zeit präzise und effizient durchführen.
Diese gewonnene Zeit kommt nicht nur den Patienten zugute, durch schnellere und exaktere Behandlungen, sondern auch dem gesamten Team, das von einer spürbaren Entlastung profitiert.
Doch die Bedeutung der Digitalisierung reicht noch weiter. Sie schafft eine Arbeitsumgebung, die den modernen Ansprüchen gerecht wird und es ermöglicht, den Praxisalltag so zu gestalten, dass neben der beruflichen Effizienz auch das private Wohlbefinden nicht zu kurz kommt. Die Zeit, die durch digitale Lösungen eingespart wird, ist nicht nur ein Gewinn für die Praxis, sondern auch ein Gewinn für das persönliche Leben. Trotz der anfänglichen Lernkurve und der Investition in Zeit und Ressourcen zeigt sich schnell, dass diese Technologien auch finanziell von Vorteil sind – sei es durch steuerliche Abschreibungen oder Vorsteuerabzüge, vor allem aber natürlich durch die langfristige Rentabilität. Die Digitalisierung ist daher weit mehr als eine Investition in Technik; sie ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit der gesamten Praxis und ermöglicht eine harmonische Balance zwischen Beruf und Privatleben. Das ’60-Minuten-Konzept‘ mag nur ein Beispiel sein, doch es zeigt eindrucksvoll, wie wir durch die richtigen Werkzeuge unsere Zeit besser nutzen und die Qualität unserer Arbeit auf ein neues Niveau heben können.
Herzliches Danke, Ihnen beiden, für Ihre Zeit und dieses Gespräch.