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Praxisverwaltungssysteme – geht’s nicht besser?

Der Frust, den ich seit Jahren mit Praxisverwaltungssystemen mit mir als Anwalt herumtrage, sitzt tief. Es geht mir um das offenbar völlige Unverständnis der Branche, dass eine rein elektronische Aktenführung nicht nur am Bildschirm komfortabel, sondern auch in der Lage sein muss, alle (eine bekannte Richterin am Landgericht Stuttgart pflegte die Bedeutung des Wortes „alle“ mit der Frage zu unterstreichen, welcher Buchstabe von „alle“ nicht verstanden werde) Informationen, die der Bildschirm zu einem Patienten zeigt bzw. die im System vorhanden sind, auf einfache, simple, absolut narrensichere Weise abzuspeichern und auszudrucken. Der Druck und Speichervorgang muss mit einem Befehl absolut alle Informationen, die zu einem bestimmten Patienten in der EDV vorhanden sind, für jeden befugten Dritten, der das lesen darf, verständlich wiedergeben können. Befugter Dritter in diesem Sinne ist auch der Patient. Davon sind wir unverändert weit entfernt.

Für die Zahnarzthaftungsfälle brauchen wir bei elektronischer Aktenführung vollständige, in sich logische Wiedergaben insbesondere von: Erstbefund, Anamnese, Untersuchungsbefund, Begründung für weitere Untersuchungen, insbesondere Röntgenaufnahmen, ggf. DVT, ggf. CT (Indikation!), die schriftliche Ausbefundung der bildgebenden Diagnostik, die Besprechung mit dem Patienten zu den Befundergebnissen, die in einer Diagnose enden, die Diagnose(n), den/die Therapievorschläge, die Aufklärung des Patienten (Risikoaufklärung, Alternativenaufklärung, ggf. wirtschaftliche Aufklärung), die Entscheidung des Patienten, wie er/sie sich behandeln lassen will (Einwilligung), die Durchführung der Behandlung (was wurde gemacht, gab es Auffälligkeiten), das Ergebnis der Behandlung, die Information des Patienten über das Behandlungsergebnis, die dem Patienten für die Post-Behandlungsphase gegebenen Empfehlungen (Sicherungsaufklärung), der Wiedervorstellungstermin. Dasselbe brauchen wir für die Strafverfahren, die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 ff. SGB V, und, und, und.

Was wir in einer Behandlungsdokumentation nicht brauchen, ist die Widergabe der Texte für die Ziffern der Gebührenordnung. Klassiker ist insoweit die Nr. 12 BEMA (bmF). Was soll ein Rich-ter, was ein Staatsanwalt mit der Information anfangen, dass am xx.xx.XXXX „Besondere Maßnahmen beim Präparieren oder Füllen, je Sitzung, je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich“ durchgeführt wurden? Das ist aber keine Behandlungsdokumentation. Be-handlungsdokumentation wäre es, wenn dort stünde, was genau gemacht wurde. Mit etwas Glück sind die Mitarbeiter*innen der Praxis so geschult, dass sie das als Freitext eingeben, der dann allerdings weder bei noch anstelle des Gebührenordnungstextes erscheint. Häufig genug bleibt es aber bei der bloßen Wiedergabe der Gebührenordnung.

Warum ist es so schwierig, zu verstehen, dass es für Inhalte der Dokumentation darauf ankommt, dass Behandler und Nachbehandler weitermachen können? Die Abrechenbarkeit der Leistungen folgt der Behandlungsdokumentation, der umgekehrte Weg ist eine Sackgasse.

Die Ausdrucke der Behandlungsdokumentation seitenweise mit dem Text von Gebührenziffern zu füllen, aber die wichtigen Informationen zum eigentlichen Behandlungsgeschehen im Ausdruck nicht zur Verfügung zu stellen, allen voran die Informationen zu Anamnese und Befunden, erweckt bei Richtern und Staatsanwälten den Eindruck, es ginge hier nur ums Geld verdienen, nicht ums Behandeln. Vor allem aber bringt es die Zahnärzte und ihre Berater in die Bredouille, immer mehr erklären zu müssen, warum die zunächst dem Patienten auf Anforderung nach § 630g BGB übersandten Unterlagen leider vollständig unvollständig waren, warum das mit dem Ausdruck und Abspeichern nicht gelang, und dass die jetzt vorgelegten Unterlagen unverändert und nunmehr vollständig sind. Wer je in einem Strafverfahren, in dem der Gutachter aufgrund solcher unvollständig beschlagnahmter Akten ein verheerendes Bild der Behandlung zeichnete, das deshalb seinen Weg zur Anklage bei der Großen Strafkammer eines Landgerichts mit der dort üblichen Straferwartung nicht unter drei Jahren Freiheitsstrafe nahm, die nachträgliche Vorlage umfangreichster – und für die Entkräftung des Tatvorwurfs entscheidender – Behandlungsunterlagen gegen den Vorwurf der nachträglichen Manipulation und der Vertuschung verteidigen musste, findet die Nonchalance, die in der Branche nach wie vor dazu gepflegt wird, nicht lustig. Vertuschung kann den Zahnarzt in Untersuchungshaft bringen.

Landauf, landab wurden und werden Spezialeinheiten der Staatsanwaltschaften gegründet, um solche Delikte zu verfolgen. Von den Herstellern der Praxis-EDV erwarte ich Verständnis für diese Situation und eine Änderung ihrer Policies. Es kann doch nicht angehen, dass die Antwort auf die Frage, ob die vollständigen Patientenunterlagen ausdruck- bzw. speicherbar sind, in einem „Ja“ besteht, wenn man die dafür erforderlichen zahlreichen Sonderbefehle kenne, die aber nicht geschult würden, weil das nicht nachgefragt werde.

Wenn sich das nicht grundlegend ändert, wobei hier auch die Mitwirkung der KZBV bei der Zertifizierung gefragt ist, werden wir es mit nur noch elektronischen Behandlungsunterlagen regelmäßig erleben, dass die Polizei dann halt den Server mit-nimmt. Wenn’s nicht anders geht, darf sie das. Was das für die betroffene Praxis bedeutet, muss ich hier nicht ausmalen.

Prof. Dr. Thomas Ratajczak

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI

Email: ratajczak@rpmed.de
Web: www.rpmed.de

Blog: www.rpmed.de/aktuelles