Es gibt immer wieder Stimmen, die nach dem Motto, hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner, eine Reform des Gebührenrechts nicht für unabdinglich halten. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei neuen Entscheidungen einmal mehr Argumente geliefert, warum die Reform kommen muss.
In beiden Entscheidungen ging es um den Geltungsbereich der
GOÄ. Die Entscheidung vom 04.04.2024 (AZ: III ZR 38/23) betraf die Abrechnung ambulant durchgeführter sog. Cyberknife-Behandlungen durch ein Universitätsklinikum in Höhe von 10.633 €.
In der Entscheidung vom 13.06.2024 (AZ: III ZR 279/23) ging es um die Abrechnung ambulanter Liposuktionen nach Nr. 2454 GOÄ durch eine Privatklinik in Höhe von 15.900 €. Das Universitätsklinikum hatte mit einem Patienten das Honorar als Pauschalhonorar vereinbart, nachdem seine Krankenkasse die Behandlungskostenübernahme abgelehnt hatte. Er litt an einem Prostatakarzinom.
Die Strahlentherapie mittels Cyberknife wurde in mehreren ambulanten Sitzungen durchgeführt. Der Patient hatte auch bezahlt, forderte dann aber das Honorar – warum auch immer – zurück. Das aus dem Jahre 1988 stammende Gebührenverzeichnis zur GOÄ enthält dafür keine Gebührenziffer und kennt auch sonst keine Leistungen, die den Behandlungsvorgang mittels Cyberknife abbildeten. Der BGH meinte, die Cyberknife-Behandlung hätte als ambulante Behandlung zwingend nach den Vorgaben der GOA abgerechnet werden müssen. Pauschalhonorare könnten nach § 2 GOÄ nicht wirksam vereinbart werden, die Zahlung des Honorars sei damit rechtsgrundlos erfolgt (Moral ist kein Rechtsgrund!).
Das Uniklinikum habe auch nicht im Prozess wenigstens hilfsweise eine Analogabrechnung gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ vorgelegt. Deshalb sei nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB) das volle Behandlungshonorar an den Patienten zurückzuzahlen.
Die Privatklinik hatte für die Liposuktion ebenfalls einen Pauschalhonorarvertrag über 15.900 € abgeschlossen. Die Operationen erfolgten an drei verschiedenen Tagen in einem Zeitraum von drei Monaten (Beine außen, Arme, Beine innen). Die Patientin bezahlte zunächst die Rechnungen, forderte dann aber ebenfalls den Rechnungsbetrag zurück. Die Privatklinik schob dann eine Abrechnung nach GOÄ nach und berechnete für die Liposuktionen 6 x die Nr. 2454 GOÄ. Auch hier bejaht der BGH die Anwendbarkeit der GOÄ auf ambulante Leistungen und betont erneut, dass die GOÄ auch dann Anwendung finde, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person wie zum Beispiel einem Krankenhausträger oder einem medizinischen Versorgungszentrum abgeschlossen werde und ambulante Leistungen durch Ärzte erbracht werden, die lediglich im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben tätig werden, selbst mit dem Patienten aber keine Vertragsbeziehung eingehen. Quintessenz dieser beiden Urteile: Die GOÄ findet auf jegliche ärztliche ambulante Behandlung Anwendung.
Für die GOZ gilt dasselbe: sie gilt für jegliche zahnärztliche ambulante Behandlung. Der Liposuktion-Fall gab dem BGH Anlass, sich mit dem Anwendungsbereich der Nr. 2454 GOÄ zu befassen, und bejaht diese. Zum Einwand, dass die Leistung weit unterbewertet sei, führt der BGH aus:
„Dass die Beklagte behauptet, der Aufwand der Operation werde in der Gebühr Nr. 2454 nicht hinreichend abgebildet, ist rechtlich unerheblich. Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung von nach Erlass der Verordnung eingetretenen Veränderungen des technischen Standards oder der Fortentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die im Gebührenverzeichnis aufgeführten ärztlichen Leistungen zu bewerten.
Die Gerichte sind grundsätzlich nicht zu einer Korrektur befugt. Eine Bindung an die Verordnung besteht nur dann nicht, wenn und soweit sie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht – etwa Art. 3 oder Art. 12 GG – nichtig ist. Dass die Bewertung der Leistung in der Gebührenposition auch unter Ausschöpfung des Gebührenrahmens objektiv nicht auskömmlich ist und die Beklagte in ihrem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt, lässt sich nicht feststellen. Vortrag zu den Kostenstrukturen, denen der Aufwand gegenüberzustellen wäre, gibt es nicht.“
Im Ergebnis sprach der BGH der Klinik 4.207,48 € zu und verwies im Übrigen auf die Möglichkeit zum Abschluss einer Honorarvereinbarung. Welche Konsequenzen diese für die Patienten hinsichtlich der Beihilfe- und der Krankenversicherungsleistung hat, wird von ihm nicht erörtert. Dazu wurde, wie auch zu den Kostenstrukturen, von der Klinik offenbar nichts vorgetragen. Gerade wegen der Interessen der Patienten brauchen wir eine grundlegende Reform des Gebührenrechts.
Prof. Dr. Thomas Ratajczak
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI
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