Der Deutsche Zahnärztetag / der 4. Gemeinschaftskongress der zahnmedizinischen Fachgesellschaften ist mit großer Beteiligung gestartet. Mehr als 3.000 Teilnehmer aus Praxis, Klinik und Wissenschaft sind in Berlin zusammengekommen. Im Rahmen der Pressekonferenz des Gemeinschaftskongresses standen zentrale Themen im Fokus, die die moderne Zahnmedizin derzeit bewegen – darunter Orale Medizin, komplexer Zahnerhalt und Digitalisierung.
Bild: Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) (Bild: Marc-Steffen Unger)
Über 30 zahnmedizinische Fachgesellschaften und Arbeitskreise aus nahezu allen Bereichen der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde präsentierten aktuelle Forschungsergebnisse und diskutierten deren Bedeutung für Diagnostik, Therapie und Prävention. „Die Forschung zeigt immer deutlicher, dass wir die sogenannte ‚Zahnmedizin‘ neu denken und eigentlich von Oralmedizin sprechen sollten“, sagte Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). „Die Mundhöhle ist kein isoliertes System, sondern steht in enger Wechselwirkung mit der allgemeinen Gesundheit. Entzündliche Prozesse im Mund können systemische Erkrankungen beeinflussen – und umgekehrt.“
Der Gemeinschaftskongress trug diesem Verständnis Rechnung, indem er den Dialog zwischen Wissenschaft, Klinik und Praxis förderte. „Unser Ziel ist es, die Zusammenhänge zwischen oraler und systemischer Gesundheit besser zu verstehen, Synergien zwischen den Disziplinen zu nutzen und Patientinnen und Patienten ganzheitlich zu versorgen.“ Dabei gehe es nicht nur um neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch um eine veränderte Haltung innerhalb der Profession, wie Mund-Kiefer- und Gesichtschirurg Wiltfang betonte: „Die Oralmedizin erfordert, dass wir stärker interdisziplinär denken – in Kooperation mit Innerer Medizin, Diabetologie, Onkologie und Kardiologie. Nur so kann zahnärztliches Handeln seinen vollen Beitrag zur Allgemeingesundheit leisten.“
Prävention: Mehrbedarf an Zahnerhaltung im Alter und komplexe Endodontie
Diese ganzheitliche Sicht spiegelt sich auch in epidemiologischen Daten zur Prävention wider. Die aktuelle sechste Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS 6) zeigt eindrucksvoll, dass die meisten Kinder und Jugendlichen heute kariesfreie Gebisse haben. Dank wirksamer Präventionsprogramme behalten Menschen ihre eigenen Zähne immer länger – oft bis ins hohe Alter. Das führt zu einer sogenannten Morbiditätskompression, also zu einer verlängerten Phase oraler Gesundheit im Lebensverlauf. Kommt es jedoch im höheren Lebensalter zu Behandlungsbedarf, ist dieser in der Regel komplexer und anspruchsvoller.
Für Dr. Bijan Vahedi, Endodontie-Spezialist aus Augsburg und Vizepräsident der DGZMK, macht sich diese Entwicklung auch im Praxisalltag deutlich bemerkbar, wie er auf der Pressekonferenz berichtete: „Junge Menschen brauchen heute kaum noch Wurzelbehandlungen aufgrund von Karies. Wir sehen diese Altersgruppe fast nur noch nach dentalen Traumata – also nach Unfällen, bei denen Zähne beispielsweise beim Sport oder Sturz verletzt werden.“
Der Therapiebedarf nimmt allerdings nicht ab, sondern verändert sich: „Wir behandeln heute häufiger ältere Patientinnen und Patienten mit komplexen endodontischen Fällen – etwa Revisionsbehandlungen oder mit altersbedingten verengten Wurzelkanälen“, erläuterte Vahedi. „Die Anforderungen steigen, weil wir Zahnerhaltung auf spezialisiertem Niveau zunehmend auch bei Menschen mit mehreren Begleiterkrankungen umsetzen. Das erfordert interdisziplinäres Denken und individuell abgestimmte Therapiekonzepte.“
Digitalisierung als Zukunftskompetenz: Effizienz, Präzision und neue Arbeitsprozesse
Parallel zu den wissenschaftlichen Entwicklungen verändert auch die fortschreitende Digitalisierung die Zahnmedizin grundlegend. Sie prägt Diagnostik, Planung und Therapie und war Bestandteil zahlreicher Fachprogramme auf dem Gemeinschaftskongress – unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für computergestützte Zahnheilkunde (DGCZ), im Arbeitskreis Artificial Intelligence in Dental Medicine (AKAIDM) und in einem der interdisziplinären Falldiskussionen.

Innovative Fertigungstechnologien wie der 3D-Druck oder der softwaregestützte Metalldruck revolutionieren zudem die Herstellung kieferorthopädischer Apparaturen und Retainer. Gleichzeitig rücken Aspekte wie Datensicherheit, Interoperabilität und Telematik zunehmend in den Fokus. „Eine erfolgreiche Digitalisierung erfordert daher nicht nur technologische Investitionen, sondern auch organisatorische Anpassungen, kontinuierliche Schulung des gesamten Teams und ein hohes Maß an Prozesskompetenz“, sagte Proff.
Die zahnmedizinische Zukunft ist interdisziplinär
Dass nach 2015 erneut ein gemeinsamer Kongress der zahnmedizinischen Fachgesellschaften im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages stattfand, trägt dem gewachsenen Bedarf an interdisziplinärem Austausch und wissenschaftlicher Vernetzung innerhalb der oralen Medizin und darüber hinaus Rechnung. Die zahnmedizinische Wissenschaft stellt sich den Herausforderungen einer älter werdenden Bevölkerung und arbeitet an Konzepten für eine zukunftsorientierte, vernetzte Versorgung in enger Kooperation mit anderen medizinischen Disziplinen. Damit setzt der Gemeinschaftskongress nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesundheitspolitische Akzente – für eine Oralmedizin, die Patientenzentrierung, Behandlungsqualität und Prävention auf hohem Niveau vereint.
