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Darum sollte die MDR aufgehoben werden

​MDR ist die mittlerweile sattsam bekannte Abkürzung für die Europäische Medizinprodukte-Verordnung (VO (EU) 2017/745). Sie stammt vom 05.04.2017 und gilt mittlerweile insgesamt seit dem 26.05.2021. Sie ersetzt die Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG vom 14.06.1993 (MDD).

Die MDR beruht schon in ihrer Begründung auf einem logischen Fehler. Grund für die MDR ist der Skandal um die Brustimplantate der französischen Firmapip Aber diese waren nach damaligem Recht der MDD mangels medizinischer Zweckbestimmung keine Medizinprodukte und sind es nach geltendem Recht nur, weil die MDR sie durch Art. 1 Abs. 2 und Anhang XVI Nr. 2 explizit der Geltung der MDR unterwirft (virtuelle Medizinprodukte). Ausgehend von diesem ersten Fehler ist die MDR hinsichtlich ihrer Anforderungen an Medizinprodukte weit über das notwendige Ziel hinausgeschossen. Medizinprodukte wurden vielfach höhergestuft, ohne dass es dafür auch nur einen Versuch der Begründung seitens der EU-Kommission gibt. Diese Produkte werden oft seit Jahrzehnten eingesetzt, sind nach der MDD zertifiziert – und funktionieren so, wie sie es sollen. Worin besteht die Notwendigkeit, längst am Markt etablierte und bewährte Medizinprodukte nachträglich anderen Anforderungen zu unterwerfen?

Ausgehend von dem PIP-Skandal, den viele unzureichenden Audits durch eine deutsche Benannte Stelle anlasten, erhöhte die MDR die Anforderungen an die Benannten Stellen drastisch und ordnete an, dass nach MDR nur Benannte Stellen zertifizieren dürfen, die selbst nach MDR notifiziert sind. Entgegen allen Annahmen der EU-Kommission haben sich die unter der MDD notifizierten Benannten Stellen nicht um die Notifizierung nach der MDR „gerissen“, und nun dauern die Verfahren für diejenigen, die sich um eine Notifizierung nach der MDR bemühen, ungleich länger als die seitens der EU-Kommission prognostizierten 18 Monate. In der Konsequenz gibt es aktuell statt der 76 Benannten Stellen unter der MDD erst 32 Benannte Stellen unter der MDR. Um „sicher“ zu gehen, dass alle Bestandsprodukte die neuen Anforderungen erfüllen, sollen sie bis zum 27.05.2024 nach dem neuen Recht der MDR (re-)zertifiziert werden. Produkte, die das nicht schaffen oder Hersteller, die das nicht wollen, dürfen diese Produkte noch bis zum 27.05.2025 abverkaufen. Danach sind sie in der EU verboten. Wegen dieser Rezertifizierungsfrist werden ungleich mehr Benannte Stellen als unter der MDD gebraucht.

Langsam breitet sich in der deutschen Politik die Erkenntnis aus, dass die Frist für den 27.05.2024 nicht erst an diesem Tag, sondern in wenigen Monaten abläuft; denn die durchschnittliche Zertifizierungsdauer für ein Produkt beträgt bei den Benannten Stellen 18 Monate. D.h., aus Herstellersicht muss die Entscheidung, ob ein Medizinprodukt künftig in der EU überhaupt noch weiter angeboten werden soll, bis etwa zum 27.11.2022 gefallen sein. Bis dahin muss der Zertifizierungsprozess auch begonnen, also überhaupt eine Benannte Stelle gefunden sein, die den Zertifizierungsprozess übernehmen will. Viele Hersteller berichten, dass sie keine Benannte Stelle finden, die das für ihre Produkte machen will.

Das gilt für alle Bestandsprodukte, aber auch für die durch die MDR erstmals durch eine Benannte Stelle für zertifizierungspflichtig erklärten Produkte der neuen Klasse I r, in die alle wiederverwendbaren chirurgischen Instrumente fallen, die bisher Klasse I waren und deshalb nicht von einer Benannten Stelle zertifiziert werden mussten. Das betrifft u.a. das gesamte aus Metall bestehende Instrumentarium einer Arzt- und Zahnarztpraxis sowie der Krankenhäuser.

Wenn es denn einem Hersteller gelingt, eine Benannte Stelle zu finden, hat er nicht nur mit langen Zertifizierungsfristen und hohen Kosten zu kämpfen. Nicht weniger schwerwiegend ist, welche enormen Kapazitäten herstellerseitig durch die Verfahren vor den Benannten Stellen gebunden werden, vor allem Kapazitäten der Entwicklungsingenieure. Die entwickeln nicht mehr, sondern schreiben Dokumentationen für entwickelte Produkte. Wenn die MDR dann als Folge einer Höherklassifizierung für das Produkt zur (Re-)Zertifizierung erstmalig klinische Studien verlangt, dann wird es vielfach eng bis unmöglich. Wozu sollte eine Ethik-Kommission klinische Studien für seit Jahrzehnten bewährte Produkte genehmigen? Am besten prospektiv, randomisiert, doppelverblindet, placebokontrolliert, bei Produkten für die Zahnmedizin im Split-Mouth-Design?

Der Markt der Medizinproduktehersteller in Europa wird dominiert von Deutschland (Marktanteil: rund 26 %), gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Die 14.500 Hersteller in Deutschland sind überwiegend (93 %) Klein- und Kleinstunternehmen mit meist deutlich weniger als 20 Mitarbeitern. Diese kleinen Unternehmen sind vielfach hochinnovativ, haben aber weder die ingenieurtechnischen noch die finanziellen Kapazitäten, die sie für eine Zertifizierung brauchen. An normale Start-ups muss man unter der MDR erst gar nicht mehr denken. Die MDR ist in ihrer heutigen Form ein Instrument der zwangsweisen Marktbereinigung. Dazu fehlt ihr aber jede Rechtfertigung. Wie hätten unter der MDR jemals dentale Implantate entwickelt und zur Marktreife gebracht werden können? Hinzu kommt, dass der zentrale Ankerpunkt der MDR die Datenbank EUDAMED ist. Alles, was der MDR unterliegt, soll über EUDAMED abgewickelt und transparent gemacht werden. So sollen für Medizinprodukte UDI (Unique Device Identifier) erstellt werden, die die eindeutige Identifizierung einzelner Medizinprodukte ermöglichen. Alle am Markt handelnden Akteure sollen über EUDAMED identifizierbar sein. Das Problem dabei: EUDAMED hat zum Start der MDR gar nicht funktioniert und wird mit vollem Funktionsumfang erst zu einem aktuell nicht mehr näher spezifizierbaren Zeitpunkt zur Verfügung stehen, nachdem auch das letzte von der EU-Kommission für die volle Funktionsfähigkeit genannte Datum verschoben wurde.

All das führt dazu, dass immer mehr Medizinprodukte nicht mehr weiter angeboten werden sollen, weil sich das unter der MDR nicht mehr rechnet. Dazu zählen nicht nur die Nischenprodukte für die Kinderchirurgie. Auch die Zahnmedizin profitiert bisher vom Angebot zahlloser kleinteiliger, auf die Bedürfnisse spezifischer Praxen und Patientengruppen abgestimmter Produkte. Viele Produkte, allen voran die Implantate, wurden entwickelt, weil Behandler in ihren Praxen den entsprechenden Bedarf gesehen und die Entwicklung angestoßen haben. Das durch die MDR gesetzte Grundproblem der enormen Kosten für die Hersteller und die sich daraus ergebenden Konsequenzen der Produktreduktion und der Marktzugangsbeschränkung wird durch keine Kosmetik an der MDR behoben. Behoben wird dies nur, indem die MDR aufgehoben, die MDD wieder in Kraft gesetzt und dann darüber nachgedacht wird, was man an zusätzlicher Sicherheit in diesem Bereich wirklich braucht. Das ist die Aufgabe der deutschen Politik. Der Umgang der EU-Kommission mit den Problemen der MDR, die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, die bei der MDR gemachten grundlegenden Fehler zu korrigieren, sind nicht nur für die handelnden Akteure ein großes Ärgernis. Sie bedrohen in diesem wichtigen Zukunftsmarkt die Innovationsfähigkeit Deutschlands.

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