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Deutscher Implantologentag: Sofortimplantation und Sofortversorgung

Ende November 2021 fand in Wiesbaden der Implantologentag statt. Das Konzept, die Tagung zu einem inner- und interdisziplinären Event zu machen, ist den Veranstaltern geglückt. Drei Gastgeber – die DGI, die DGOI und die Next Generation der DGI – und vier weitere (zahn-)medizinische Fachgesellschaften – für Parodontologie, für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien, für Ästhetische Zahnmedizin und für Innere Medizin – haben ihre Expertise verknüpft, um fachliche Brücken zu schlagen. Hier stellen Sich die Moderatoren wichtigen Fragen zu ihrem jeweiligen Spezialgebiet.

Bild: Diskussionsthema Sofortimplantation und Sofortversorgung: Prof. Dr. Henrik Dommisch, Prof. Dr. Frank Schwarz und Dr. Lukas Fürhauser (v.li.).

Aus Sicht der Patienten bieten die Sofortimplantation und Sofortversorgung große Vorteile: Die Behandlungsdauer verkürzt sich, eine Augmentation kann vermieden werden. Das Konzept gilt – bei richtiger Indikationsstellung – als zuverlässige Therapieform. Welche Indikationen gelten aus Ihrer Perspektive als gesichert?

In der Tat ist das Behandlungskonzept mit Sofortimplantation und Sofortversorgung besonders attraktiv, da sich die Behandlungsdauer für die Patienten enorm verkürzt. Ob eine Sofortimplan­tation auch gleichzeitig bedeutet, dass eine Augmentation vermieden werden kann, ist fraglich. Dieser Aspekt hängt im Wesentlichen von individuellen lokalen Faktoren ab. Hinsichtlich der In­dikation sei hier auch bereits auf mögliche systemische Faktoren hingewiesen, die das Indikati­onsspektrum einschränken können.

Als recht sicher kann eine klinische Situation angesehen werden, in welcher die Patientin bzw. der Patient als allgemeinmedizinisch vollständig gesund gilt und die lokalen Aspekte optimale klinische Voraussetzungen erfüllen. Mit einer optimalen lokalen klinischen Situation ist gemeint, dass keine akute entzündliche Pathologie wie z.B. eine akut exazerbierende apikale Parodontitis und/oder eine unbehandelte Parodontitis vorliegt, dass die weichgewebliche Situation eine aus­reichend dicke und keratinisierte Gingiva aufzeigt und der Alveolarknochen – vor allem hin­sichtlich der vestibulären Lamelle – in der horizontalen und vertikalen Dimension für eine ausreichende Primärstabilität des zu inserierenden Implantates vorhanden ist. Unter diesen Voraussetzungen kann mit einer korrekten Implantatpositionierung sowie ausrei­chender klinischer Erfahrung – auch mit oder ohne Augmentation – das Konzept der Sofortim­plantation und -versorgung sehr erfolgreich sein.

Wo sehen Sie Fallstricke?

Fallstricke zeigen sich, wenn man sich die Indikationen für die Extraktion eines Zahnes verdeut­licht. In der heutigen Zeit steht für viele Patienten der Zahnerhalt im Vordergrund. Daher hat sich auch die Einstellung zur individuellen häuslichen Mundhygiene maßgeblich verändert. Das Ergebnis ist, dass viele Patienten ihre Zähne auch bis ins höhere Alter behalten. Das bedeutet aber auch, dass andere Erkrankungen, die mit dem Alter assoziiert sind, auftreten können, die für eine Implantatversorgung relevant sind. Mit dem Alter verändern sich ebenfalls die lokalen Aspekte, die vor Planung einer Sofortimplantation berücksichtigt werden müssen. Lokale Fakto­ren reichen von anatomischen Aspekten bis hin zu lokalen entzündlichen Prozessen, welche maßgeblich den Erfolg der Implantattherapie bestimmen können. Während eine ausgedehnte kariöse Destruktion eines Zahnes immer seltener der primäre Grund für eine Ex­traktion ist, stehen entzündliche Pathologien und traumatische Einflüsse hier oftmals im Vordergrund.

Lokal entzündliche Prozesse an dem betroffenen Zahn, z.B. apikale Parodontitis, sowie Entzündungen, die die gesamte Dentition betreffen wie z.B. Parodontitis, schränken den Indikationsbereich erheblich ein. Ist ein Zahn nach einem Trauma nicht zu erhalten, dann kann dieses – je nach Ausprägung der Verletzung von Zahn und Alveolarknochen – das erforderliche therapeutische Spektrum beeinflussen. Oftmals kann eine si­chere Primärstabilität eines zu inserierenden Implantates nicht sicher vorausgesagt werden, wenn durch die operative Entfernung von Zahnfragmenten oder aufgrund des Traumas selbst der Alveolarknochen nicht mehr ausreichend intakt ist. 

Eine entzündliche Erkrankung wie die Parodontitis wäre in jedem Fall vor einer Implantattherapie systema­tisch (stufenweise) zu therapieren.

Welche Rolle spielt der ‚digitale Workflow‘ – welche Probleme kann er lösen, welche nicht?

Der digitale Workflow erlaubt heute eine vorhersagbarere Therapie. Es beginnt mit der Planung, welche durch digitale dreidimensionale Röntgenaufnahmen und der entsprechenden Software in den letzten Jahren enorme Verbesserungen erfahren hat. Heute können bereits vor einer Extraktion exakt die anatomischen und entzündlichen Faktoren in Hinblick auf das Hartgewebe viel präziser eingeschätzt werden. Mit entspre¬chender Software und Erfahrung kann von Implantatposition bis hin zur möglichen Notwendigkeit einer Augmentation die Operation gezielt geplant werden.

Der digitale Workflow reicht aber weiter über die provisorische bis zur definitiven Versorgung des Implan¬tates. Auch hinsichtlich der prothetischen Rehabilitation zeigen intraorale Scanner höchste Präzision. Die Anwendung digitaler Systeme erleichtern und verkürzen gleichzeitig den klinischen Ablauf im Rahmen der Therapie. Das kommt schließlich dem gesamten zahnärztlichen Team sowie den Patienten entgegen.

Die digitalen Systeme haben – noch – einige Limitationen, welche sicher mit dem Fortschritt der Technologie immer weniger werden. Hierzu zählt z.B. die geräteabhängige Auflösung der digitalen Volumentomo¬gramme, die u.U. die knöcherne Anatomie nicht immer sicher einschätzbar macht. Geräte neuerer Genera¬tion leisten hier bereits eine enorme Präzision. Problematisch sind zudem häufig strahlenbedingte Aberrationen in den relevanten Bereichen. Zähne mit verschiedenen Wurzelfüllmaterialen, Kronenversorgungen oder benachbarte Implantate können die Beurteilbarkeit der für die Sofortimplantation relevanten Bereiche im Vorfeld erschweren. Diese Probleme lassen sich – auch vor dem Hintergrund der Heterogenität der verschiedenen Materialien – vielleicht zunächst nicht ohne Weiteres lösen. Die Digitalisierung stößt derzeit noch auf weitere Grenzen, wenn es um die genaue Einschätzung der Weichgewebe, vor allem der Gewebsdicke, sowie um die sichere Bestimmung der Knochenqualität geht. 

Zuletzt bleibt, dass sowohl eine gewisse technische als auch zahnmedizinische Expertise des zahnärztlichen Teams Ablauf und Ergebnis der Therapie entscheidend mit beeinflussen.

Wo sehen Sie Forschungsbedarf?

Bezüglich der Sofortimplantation und Sofortversorgung bestehen noch einige Lücken in der Literatur.
Hierzu zählen Studien zur systematischen Therapieplanung im Zusammenhang mit einer Patienten-individuellen Risikoevaluation. Die individuelle prä-operative Einschätzung lokaler und systemischer Risikofaktoren anhand einer nachvollziehbaren Systematik – hier auch im Zusammenhang mit dem Digitalen Workflow – könnte das Therapieergebnis positiv beeinflussen. Die Thematik der Multimorbidität im Zusammenhang mit systemischen Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus und Medikamente mit Einfluss auf den Knochenmetabolismus, wie es z.B. bei der antiresorptiven Therapie der Fall ist, wird in der Zukunft wissenschaftlich weiter adressiert werden müssen. Der wissenschaftliche Vergleich von Sofort- und Frühimplantation ist hinsichtlich grundlagenwissenschaftlicher sowie klinischer Fragestellungen sicher ebenfalls ein Thema für die Zukunft.

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