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Nachgefragt bei Prof. Dr. Stefan Wolfart: Keramik – Chancen und Risiken

Fragen an Prof. Dr. Stefan Wolfart, Aachen. Ende November 2021 fand in Wiesbaden der Implantologentag statt. Das Konzept, die Tagung zu einem inner- und interdisziplinären Event zu machen, ist den Veranstaltern geglückt. Drei Gastgeber – die DGI, die DGOI und die Next Generation der DGI – und vier weitere (zahn-)medizinische Fachgesellschaften – für Parodontologie, für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien, für Ästhetische Zahnmedizin und für Innere Medizin – haben ihre Expertise verknüpft, um fachliche Brücken zu schlagen. Hier stellen sich Moderatoren und Experten wichtigen Fragen zu ihrem jeweiligen Spezialgebiet.

Bild: Diskussionsthema Keramik: Moderator Prof. Dr. Stefan Wolfart (Aachen), Priv.-Doz. Dr. Paul Weigl und Prof. Dr. Jan-Frederik Güth (beide Frankfurt) (v.li.).

Für alle Aspekte der Implantatbehandlung sind keramische Lösungen verfügbar – vom Implantat, über Abutments bis hin zur Suprakonstruktion. Welche Konzepte sind bewährt und gut etabliert? Wo sehen Sie noch Forschungsbedarf?

Prof. Dr. Stefan Wolfart: Bezüglich vollkeramischer Implantatmaterialien sind inzwischen die Zirkonoxidimplantate ebenfalls gut in klinischen Studien untersucht und zeigen vielversprechende Ergebnisse, sodass diese heute auch routinemäßig zur Anwendung kommen können. Bei den Abutments haben sich vor allem Zirkonoxid-Abutments in Kombination mit Titanklebebasen in klinischen Studien be­sonders bewährt. Diese können sowohl im Frontzahnbereich als auch im Seitenzahnbereich ein­gesetzt werden. Hier ist auf ausreichende Keramikschichtstärke und eine sachgerechte Verarbeitung zu achten. Bei reinen Zirkonoxid-Abutments ohne Titanklebebasen zeigen in vitro Studien schlechtere Ergebnisse. Dies sollte bei der Abutment-Auswahl berücksichtigt werden. Bei Kronen liegen sowohl für monolithische Lithiumdisilikat-Keramiken als auch Zirkonoxid-Kera­miken gute klinische Drei-Jahres-Ergebnisse vor. Bei den monolithischen Zirkonoxid-Brücken ist immer noch Forschungsbedarf gegeben, da hier aussagekräftige klinische Daten fehlen.

Keramik ist nicht gleich Keramik. Wie relevant sind Unterschiede bei den Werkstoffen? Gibt es Empfeh­lungen zu einzelnen Werkstoffen?

Prof. Dr. Stefan Wolfart: Die Unterschiede zwischen den einzelnen vollkeramischen Werkstoffen sind gravierend und müssen durch den Zahnarzt bzw. Zahntechniker bezüglich der unterschiedlichen klinischen Situationen berücksichtigt werden. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen Silikat- und Oxidkeramiken.

Im Bereich der Silikatkeramiken sind die Lithiumdisilikat-Keramiken sehr gut untersucht und zei­gen eine sehr gute Ästhetik bei ausreichender Festigkeit. Diese werden aktuell hauptsächlich als mo­nolithische Restauration verwendet und finden Einsatz als implantatgetragene Kronen und als Abutments. Die monolithischen Einzelkronen zeigen über drei Jahre sehr gute Ergebnisse und kön­nen somit klinisch empfohlen werden.

Im Bereich der Oxidkeramiken spielen primär die Zirkonoxid-Keramiken eine Rolle. Hier liegen unterschiedliche Generationen mit verschiedenen Festigkeiten und ästhetischen Eigenschaften vor. Bei den neueren Generationen fehlen allerdings noch klinische Langzeituntersuchungen, so­dass diese nur eingeschränkt empfohlen werden können. Bezüglich verblendeter Zirkonoxid-Ke­ramik liegen sehr gute Langzeitbewährungen für implantatgetragene Kronen und Brücken vor, allerdings kommt es zu vermehrten Abplatzungen der Verblendkeramiken an den Restaurationen. Deshalb werden diese Keramiken aktuell auch immer häufiger monolithisch, also ohne zusätzliche Verblendkeramik, verwendet. Zu den monolithischen Zirkonoxid-Keramiken liegen vor allem für Einzelkronen sehr gute Drei-Jahres-Ergeb­nisse vor, für Brücken ist die klinische Datenlage noch nicht ausreichend. 

Ein besonderes Augenmerk bei der Verwendung monolithischer Zirkonoxid-Keramik ist die Frage der Polierbarkeit dieser Keramik im Mund und der Abrasivität dieser Keramik gegenüber der Gegenbezahnung.

Keramikimplantate werden oft als ‚biologisch verträglicher‘ und ‚metallfreie Alternative‘ beschrieben. Was sagt die Forschung dazu?

Prof. Dr. Stefan Wolfart: Sowohl Keramikimplantate als auch Titanimplantate sind biologisch sehr gut verträglich und haben ein ex­trem niedriges bzw. praktisch kein Allergiepotential. Der Grund für das extrem niedrige Allergiepotential von Titan ist die sofortige Oxidation der Oberfläche, die Verbindung mit Sauerstoff, wodurch die Titanober­fläche passiv wird. Unverträglichkeiten gegenüber Titan sind zwar in einigen Publikationen beschrieben, treten allerdings extrem selten auf.

Dabei gehen die Autoren davon aus, dass beim Eindrehen der Implantate ein Abrieb von Titanpartikeln erfolgt, der zu Entzündungsreaktionen im umgebenden Gewebe führt.

Generell ist bei den Keramikimplantaten zu sagen, dass diese inzwischen klinisch gut untersucht sind und genauso wie Titanimplantate in diesen Untersuchungen ausreichend gute Erfolgs- und Überlebensraten zei­gen. Ein Abrieb von Keramikpartikeln ist bisher nicht beschrieben worden. Keramikimplantate können somit als ‚metallfreie Alternative‘ bezeichnet werden, inwieweit sie ‚biologisch verträglicher‘ sind, kann aufgrund der bestehenden Langzeit-Datenlage nicht wissenschaftlich gesichert behauptet werden. Dies muss in der Patientenaufklärung immer auch thematisiert werden. Damit ist die Entscheidung für ein Kera­mikimplantat sicherlich immer dann indiziert, wenn ein Patient speziell keramische Implantate wünscht und aus persönlichen Gründen ein Titanimplantat ablehnt.

Prof. Dr. Jan-Frederik Güth (Frankfurt) auf dem Deutschen Implantologentag zum Thema Monolithische Hybridabutmentkronen.

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