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Produktbeobachtung nach MDR bei Sonderanfertigungen 

Es mag nur mein persönlicher Eindruck sein, aber je mehr sich die Europäische Kommission und das Europaparlament mit technischen Dingen beschäftigt, umso mehr verstärkt sich der Eindruck, dass es kaum noch Entscheidungsträger gibt, die über technischen Sachverstand verfügen. 

Der nachstehende Beitrag befasst sich mit der aus Art. 85 MDR folgenden Überwachungspflicht nach dem Inverkehrbringen von Produkten der Klasse I: „Die Hersteller von Produkten der Klasse I erstellen einen Bericht über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen, der eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Analysen der aufgrund des Plans zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen gemäß Artikel 84 gesammelten Daten über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen zusammen mit einer Begründung und Beschreibung etwaiger ergriffener Präventiv- und Korrekturmaßnahmen enthält. Der Bericht wird bei Bedarf aktualisiert und der zuständigen Behörde auf Ersuchen zur Verfügung gestellt.“ 

Für Produkte ab Klasse IIa ergibt sich aus Art. 86 MDR die Pflicht zur regelmäßigen Erstellung von Sicherheitsberichten. Die in den Dentallaboren einschließlich der Praxislabore für bestimmte Patienten individuell hergestellten Kronen, Brücken, Prothesen, Schienen und dgl. sind Sonderanfertigungen i.S. des Art. 2 Nr. 3 MDR und fallen hinsichtlich ihrer Klassifizierung idR in die Klasse I – und damit in den Anwendungsbereich des Art. 85 MDR. Das ist nicht gänzlich neu, sondern entspricht im Ansatz den Vorgaben in Anhang VIII Nr. 5 der Medizinprodukterichtlinie vom 14.06.1993 (MDD). 

Das war bisher in der Rechtspraxis allerdings kein Thema. Niemand hatte eine Vorstellung, wie ein zahntechnisches Labor „unter Berücksichtigung der im Anhang X (klinische Bewertung) die Erfahrungen mit Produkten in der der Herstellung nachgelagerten Phase auszuwerten und zu dokumentieren“ hat, woher die Informationen kommen sollen und wer diese erfassen soll. Die Dentallabore bekamen idR Mängel ihrer Leistungen und Unzufriedenheiten auf Seiten Patient und/oder Behandler mit, kümmerten sich darum – und gut wars. Für die Aufsichtsbehörden gab es damit auch keine Probleme. 

Das ändert sich nun, wenn es nach deutschen Aufsichtsbehörden geht, unter der Geltung von Art. 85 MDR. Diese Norm verlangt über die Regelung der MDR hinausgehend einen Plan zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Die Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Analysen der aufgrund des Plans gemäß Artikel 84 MDR gesammelten Daten über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen soll die im Anhang III Nr. 1.1 MDR enthaltenen Vorgaben erfüllen. Diese sind so umfangreich (2.707 Zeichen inkl. L.), dass ihre Wiedergabe in pip den vorhandenen Platz sprengte. 

Dieser Plan wäre auch bei Eigenlaboren zu erstellen, da sie als Hersteller von Sonderanfertigungen (was die meisten machen) ebenfalls unter diese Verpflichtungen fallen. Um das zu machen, müssten

  1. der Plan erstellt,
  2. systematisch schwerwiegende Vorkommnisse erfasst werden,
  3. einschlägige Fachliteratur oder technische Literatur, Datenbanken und/ oder Register,
  4. von Anwendern, Händlern und Importeuren übermittelte Informationen, einschließlich Rückmeldungen und Beschwerden und
  5. öffentlich zugängliche Informationen über ähnliche Medizinprodukte in einem „proaktiven und systematischen Verfahren zur Erfassung jeglicher Information“ ausgewertet werden. 

Dafür wären u.a. „wirksame und geeignete Methoden und Prozesse zur Bewertung der erhobenen Daten, geeignete Indikatoren und Schwellenwerte, die im Rahmen der kontinuierlichen Neubewertung der Nutzen-Risiko-Analyse und des Risikomanagements im Sinne von Anhang I Abschnitt 3 verwendet werden, wirksame und geeignete Methoden und Instrumente zur Prüfung von Beschwerden und Analyse von marktbezogenen Erfahrungen, die im Feld erhoben wurden“, zu implementieren. 

Wer soll das machen, wer organisieren, wer bezahlen? Es bleibt nur der Appell an die Aufsichtsbehörden und die Gutachter (und die Zahnärztekammern), jedenfalls den gröbsten Unsinn der MDR-Regelungen nicht umzusetzen. Die hier besprochene Fragestellung gehört dazu. 

Das folgt übrigens nicht nur aus dem Grundsatz, dass Unmögliches nicht verlangt werden darf, sondern aus der Unverhältnismäßigkeit der Anwendung dieser Regelungen auf Sonderanfertigungen.

Prof. Dr. Thomas Ratajczak

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI

Email: ratajczak@rpmed.de
Web: www.rpmed.de