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S3-Leitlinie: Materialunverträglichkeiten bei dentalen Implantaten 

Materialunverträglichkeiten bei dentalen, enossalen Implantaten: Echte Allergien auf Titan sind extrem selten. Klassische Allergietests auf diesen Werkstoff sind daher nicht zielführend. In der international ersten Leitlinie „Materialunverträglichkeiten bei dentalen, enossalen Implantaten“ empfehlen die Fachleute von 18 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Organisationen unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI e.V.) daher einstimmig, auf solche Tests zu verzichten. Die Expertinnen und Experten geben dabei Entscheidungshilfen, in welchen Fällen Patienten von einer erweiterten Diagnostik profitieren können und wie Befunde und Symptome bewertet werden sollten.

Materialunverträglichkeiten können bei implantatgetragenem Zahnersatz auftreten. Doch was ist im Einzelfall tatsächlich der Auslöser, wenn die Mundschleimhaut brennt oder gerötet ist, wenn Zahnfleisch oder Lippen anschwellen oder die Mundwinkel sich entzünden? Dann liegt die Vermutung nahe, dass die Patientin oder der Patient einen Werkstoff oder eine Substanz beispielsweise in zahnprothetischen Konstruktionen nicht verträgt. In solchen Situationen geraten auch dentale Implantate in Verdacht, mögliche Auslöser zu sein.

Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich (DGI) legt die international erste Leitlinie zu diesem Thema vor

Dentale Implantate bestehen meistens aus Reintitan, das oxidiert keine Allergie auslösen kann. Allerdings können Suprakonstruktionen aus Titan-Legierungen bestehen und auch andere Metall-Legierungen enthalten, die eine Kontaktallergie auslösen können. Ebenso sind Unverträglichkeitsreaktionen auf Titan möglich. Diese können durch eine überschießende entzündliche Reaktion von Fresszellen (Makrophagen) verursacht werden, wenn diese in Kontakt mit Titanoxidpartikeln kommen.

Materialunverträglichkeit: Klinische Diagnostik entscheidend

Entscheidend für die Diagnostik von Unverträglichkeiten ist die klinische Symptomatik, da eine Kontaktallergie auf Titan nicht wahrscheinlich ist. Bei Verdacht, dass zahnprothetische Materialien, etwa Aluminium, Kobalt oder Nickel, in Implantatlegierungen oder Suprakonstruktionen die Auslöser eines allergischen Kontaktekzems sein könnten, kann eine Allergietestung, etwa der Epikutan-Test, sinnvoll sein.

Darum haben die Fachleute in ihren insgesamt sechs auf Evidenz basierten Empfehlungen bezüglich Allergietests auf Titan den Daumen gesenkt und formuliert, dass “eine Testung nicht durchgeführt werden soll”. Dies gilt sowohl für den Epikutantest (ECT) als auch für den sogenannten Lymphozytentransformationstest (LTT), der Hinweise auf allergenspezifische Gedächtniszellen im Blut gibt, die jedoch nicht obligat mit einer klinisch lokalen Reaktion in Beziehung stehen müssen. Beide Tests sollen nicht zur Abklärung einer potenziell bestehenden Sensibilisierung auf Titan eingesetzt werden, auch nicht bei Patienten mit relevanten Vorerkrankungen in der Anamnese oder bei Patienten, bei denen der Verdacht auf eine klinische Unverträglichkeitsreaktion besteht. Denn Untersuchungen zeigen, dass selbst in Fällen, in denen ein Verdacht auf eine Titan-Unverträglichkeit besteht, der Test nicht positiv anschlägt.

Empfehlung zum Thema Suprakonstruktionen

Die Fachleute betonen jedoch, dass die Suprakonstruktionen zu Unverträglichkeitsreaktionen bzw. Allergien führen können. Auslöser dafür können andere Legierungsbestandteile, Verunreinigungen sowie Klebstoffe sein. Besteht der Verdacht auf ein allergisches Kontakt-ekzem der Mundschleimhaut, das von anderen zahnprothetischen Materialien verursacht wurde, kann ein Epikutantest differentialdiagnostisch zielführend sein. Dieser ist für den Nachweis einer Sensibilisierung auf Nickel, Kobalt, Chromat und (Meth)Acrylaten etabliert. Für die meisten anderen Metalle sind Spezifität und Sensitivität dieses Tests unbekannt. Der LTT kann im Einzelfall als Ergänzung in einem mehrstufigen diagnostischen Ansatz integriert werden.

Empfehlung: Keramikimplantate als Therapieoption

“Für Patienten mit vermuteter Titanunverträglichkeit können auch dentale Keramikimplantate als Therapieoption in Betracht gezogen werden”, formulieren die Fachleute.

Schwache Evidenz

Die Expertinnen und Experten der Leitlinie konstatieren grundsätzlich, “dass die Titanunverträglichkeitsreaktion in der Literatur nicht ausreichend belegt ist”.  Weitere Evidenz bezüglich der Unverträglichkeitsreaktion auf Titan und ihrer Diagnostik werde benötigt. Es gibt jedoch Hinweise aus Studien, dass die entzündete Umgebung bei einer Periimplantitis oder Mukositis mit einer höheren periimplantären Belastung mit Titanpartikeln einhergeht. Es gibt daher Versuche, diese individuelle Immunreaktion in vitro mittels Makrophagenstimulationstests zu analysieren. 

Tests als hinweisende Diagnostik

Ebenfalls mit Tests nachweisbar ist eine genetische Prädisposition für individuelle Entzündungsreaktionen. Daher seien, so die Expertinnen und Experten, die aktuell verfügbaren Tests als hinweisende Diagnostik zu betrachten. Allerdings sei die Abgrenzung zwischen einer triggernden bakteriellen Entzündung und einer möglichen immunologischen Inflammation aufgrund von Titanpartikeln bislang nicht gesichert möglich.

Explantation nur Ultima Ratio

“Um eine therapeutische Entscheidung zu treffen, ist die klinische Symptomatik ausschlaggebend, die sich durch eine lokale, immunologisch bedingte Entzündungsreaktion und eine folgende gestörte ossäre Integration zeigt”, betonen die Fachleute zusammenfassend. Klassische Allergietests seien dabei nicht zielführend. Es gelte aber zu bedenken, dass in Suprakonstruktionen oder Legierungen andere Metalle als Titan und Verunreinigungen vorkommen können. Dann könnte auch ein Auslassversuch wegweisend sein. Eine Explantation von Implantaten sei aber nur eine Ultima Ratio und die Indikation dazu müsse äußerst streng gestellt werden. In jedem Fall solle zunächst die Therapie der periimplantären, Biofilm-assoziierten Infektion leitlinienkonform erfolgen.

Stichwort: Titan und Metall-Allergie

Bei allergischen Reaktionen auf Metalle handelt es sich um sogenannte Kontaktallergien. Diese treten an der Mundschleimhaut etwa 24 bis 27 Stunden nach Kontakt auf. Um diese Allergien auszulösen, müssen sich Metalle, etwa Cobalt, Nickel oder Kupfer, an Proteinmoleküle koppeln. Erst dann sind sie in der Lage, eine allergische Immunreaktion auszulösen. Solche Substanzen werden Haptene genannt. 

Titan oxidiert jedoch an der Luft und bildet Titandioxid. Oxide können sich nicht an ein Protein binden und daher nicht als Allergen/Hapten wirken. Darum ist Titan nicht in der Lage, eine klassische Kontaktallergie auszulösen.

Download der S3-Leitlinie