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Zahnersatz aus dem Gartenhaus

An einem ganz normalen Arbeitstag Mitte Februar 2019 betrat der Patient die Praxis „Oralchirurgie am Wasserturm“ von Dr. Korsch in Mannheim. Es sollten zwei Wurzelreste im zweiten Quadranten entfernt werden. Bevor das OPG erstellt wurde, sollte er jeglichen herausnehmbaren Zahnersatz entfernen. Er habe keinen, antwortete er zunächst. Als er jedoch auf den Kunststoff-Aufbiss des Röntgengeräts beißen sollte, geschah etwas Kurioses: Er griff sich in die Front, machte ein schlürfendes Geräusch „schhhhhhlurp“ – und schon präsentierte er seinen Frontzahn aus unbekanntem Material, den er sich soeben aus der Alveole 11 gezogen hat.

Vor vielen Jahren (mehr als sechs, genauer konnte er es nicht sagen) war ihm der Zahn 11 herausgefallen. Der heutigen klinischen Situation zufolge war der Zahn vermutlich damals schon parodontal stark vorgeschädigt und gelockert. Damit zum Arzt zu gehen, fand er jedoch völlig unnötig – er steckte den herausgefallenen Zahn einfach wieder zurück ins Zahnfach. Das ging eine Weile gut. Jedenfalls solange, bis er eines Tages Tauchen ging. Dabei fiel ihm sein natürlicher Zahn 11 unter Wasser heraus und war für immer verloren. Nun, alles noch immer kein Grund, den Spezialisten aufzusuchen. Der Patient suchte eigenständig nach einem geeigneten Ersatz. Als erste Version wählte er einen Zahn aus Stein (wie er diesen bearbeitete, oder wie das ganze aussah, ist leider nicht bekannt).

Die Alveole in regio 11 zeigt sich klinisch völlig reizlos, entzündungsfrei und ist vollständig mit Weichgewebe ausgekleidet.

Den trug er, bis auch der ihm herausfiel und dabei zerbrach. Nun hatte er ja schon Übung bei der Erstellung eines Zahnersatzes, aber die nächste Version sollte stabiler werden. Also griff er zu Plastik. Dafür sägte er von einem Gartenstuhl aus Kunststoff ein Stück ab und schnitzte sich mit einem Messer den neuen Zahn. Laut seinen Angaben brauchte er dafür einen vollen Tag. Für die Form hatte er nach seiner Aussage keine Vorlage, er machte es aus dem Gedächtnis und passte ihn Stück für Stück an das „Loch im Mund“ an. Die Arbeit selbst beschrieb er als „kinderleicht“, völlig ohne Probleme. In der Folge fertigte er verschiedene Versionen an, die letzte und aktuelle, auf den Abbildungen zu sehende Version wurde vor etwa vier Jahren angefertigt.

Komposit aus dem Gartenhaus: Den Zahnersatz hatte sich der Patient aus einem alten Gartenstuhl selbst geschnitzt und angepasst.

Klinische Befundaufnahme

Die Alveole zeigt sich klinisch völlig reizlos, entzündungsfrei und ist vollständig mit Weichgewebe ausgekleidet. Der Ersatzzahn hat eine deutliche Lockerung; abbeißen kann er damit nichts. Gehalten wird der Zahn via Vakuum – inklusive entsprechendem Geräuschen beim Einsetzen und Entfernen des Ersatzzahns. Für den Patienten dient der Zahn nur der Ästhetik, die zwar aus Sicht einer Fachperson nicht wirklich überzeugen kann (besonders bei näherer Betrachtung), den Patienten aber glücklich stimmt. Aus einiger Distanz ist das Ergebnis durchaus okay. Störend fällt am ehesten die Farbe ins Auge – trotz Putzens hat sich der Zahn über die Jahre bräunlich verfärbt. Am meisten beeindruckte mich die Anatomie und Ausführung des Ersatzzahnes. Der Patient hat keinerlei Berührungspunkte mit der Dentalbranche. Dennoch ist ihm ein erstaunlich gutes Werkstück gelungen, was auch in den Facebook-Kommentaren der Fachkollegen – sowohl von Zahnärzten als auch Zahntechnikern – entsprechend gewürdigt wurde.

Optisch zwar mit kleinen Einbußen verbunden, aber der Patient ist mit seinem Werk absolut zufrieden.

Patient völlig zufrieden

Dem Patienten wurde noch empfohlen, eventuell doch auf eine festsitzende Lösung mithilfe eines Implantats umzusteigen, aber momentan ist er mit seiner Lösung glücklich und möchte nichts daran ändern. Eine Aufklärung bezüglich der Risiken und möglichen Konsequenzen ist natürlich erfolgt. Der Patient weiß, was aus medizinischer Sicht davon zu halten ist. Letztlich bleibt es seine Entscheidung.

Nahansicht

Adrian Meißner, Weiterbildungsassistent Oralchirurgie, Mannheim