‚Bridging the Gap‘ mit autologen Knochenspänen von palatinal
Die Sofortimplantation im Oberkieferfrontzahnbereich ist zwar schon seit der Inauguration des Tübinger Sofortimplantates eine etablierte Methode [1], beinhaltet aber doch besondere Umstände, die zu beachten sind. Das chirurgische Vorgehen beeinflusst dabei ganz wesentlich das ästhetische Ergebnis. Die Wahl des Implantat-Typs, die chirurgische Planung und intraoperative Positionierung des Implantates sowie die Stabilisierung der periimplantären Knochen- und Weichgewebsverhältnisse sind dabei Themenschwerpunkte sowohl in der wissenschaftlichen Aufbereitung als auch im klinischen Alltag.
Die Streitfrage, ob hierfür Tissue-Level- oder Bone-Level-Implantate besser geeignet sind, lässt sich bis heute nicht eindeutig beantworten [2,3]. Dass sich mittels Tissue-Level-Implantaten durchaus im Frontzahnbereich auch ein besseres ästhetischeres Langzeitergebnis erzielen lässt, kann ein vom Autor operierter Patientenfall aus dem Jahr 2009 belegen (Abb. 1, 2). Auch in der wissenschaftlichen Literatur finden sich hervorragend dokumentierte Fälle von ästhetisch versorgten Frontzahnimplantaten mit Tissue-Level-Morphologie [4]. Im klinischen Alltag hat sich bei uns jedoch das Bone-Level-Implantat-Konzept bewährt, da die Insertion mit Bündigkeit der Implantatschulter auf Knochenniveau oder 0,5–1 mm darunter sich einfacher gestaltet als das Setzen von Tissue-Level-Implantaten klassischer Provenienz. Zum Einsatz kam ein Implantat (Logon) mit wurzelförmigem Design, das sich durch den apikalen Konus und das selbstschneidende Gewinde gut für die Sofortimplantation eignet [5].
Anamnese
Am 07.11.23 stellte sich der Patient mit einem bis auf Gingiva-Niveau frakturiertem Zahn 12 vor (Abb. 3). Im Zahnfilm zeigte sich ein im mittleren Drittel obliterierter Wurzelkanal (Abb. 4). Der Patient entschied sich nach ausführlicher Therapieerörterung der Wurzelkanalbehandlung mit konsekutivem gegossenem Stiftaufbaus drei Monate später alternativ für eine Implantatversorgung. Erschwerende Umstände waren hierbei die schmale Zahnlücke und der ausgeprägte Würgereiz des Patienten. Da der Patient im öffentlichen Leben steht und beruflich sehr beansprucht ist, wurde die weitere Behandlung für ein halbes Jahr verschoben. Als Interimsersatz wurde zwischenzeitlich eine Clearsplint-Prothese eingegliedert (Abb. 5).
Therapie
In Leitungsanästhesie wurde am 06.05.24 der Wurzelrest 12 so schonend wie möglich extrahiert und der Erhalt der bukkalen Lamelle visuell kontrolliert (Abb. 6-9). Die restlose Entfernung der Wurzelanteile wurde mittels Zahnfilm dokumentiert (Abb. 10). Eine vorherige 3D-Diagnostik halten wir bei Standardsituationen wie dieser für nicht sinnvoll, da sich durch die Extraktion bzw. Osteotomien im Parodontalspalt die Knochensituation mit Herausbrechen des bukkalen Knochenanteils erheblich ändern kann.
Erwartungsgemäß resultiert infolge der ovalen Form der Extraktionsalveole bei der kreisförmigen Aufbereitung durch die verschiedenen Bohrer ein Spalt anterior, der in Abhängigkeit vom Gingiva-Phänotyp ab dem Raum zwischen Implantat und Knochenwand aufgefüllt werden sollte. Da beim Patienten eine eher schmale, girlandenförmige Gingiva eines dünnen Typs [6] vorlag, mussten wir im vornherein mit der Notwendigkeit einer augmentativen Maßnahme rechnen, auch wenn die Spaltbreite unter zwei Millimetern zu erwarten war. Entsprechend der S2k-Leitlinie (Langfassung) ‚Implantationszeitpunkte‘ wurde die Auffüllung des Defektes zur Weichteilunterstützung angestrebt [7]. Hinsichtlich des Füllmaterials besteht in der Literatur keine eindeutige Einigkeit [8], jedoch bevorzugen wir ausschließlich körpereigenen Knochen zur Augmentation [9,10]. Um die Expositionszeit des inserierten Implantates mit Speichel so kurz wie möglich zu halten, wurde die Knochenentnahme vorgezogen.
Die Schnittführung für einen Palatinallappen wurde nach distal über Sulkus-Randschnitte mit Entlastungsschnitt nach basal zum Gaumenbogen erweitert. Über diesen Zugang lässt sich mit dem Bone-Scraper sehr einfach autologes Knochenmaterial abschaben (Abb. 11, 12). Erfahrungsgemäß gibt es an der Entnahmestelle kaum Schwellungen oder sonstige Komorbiditäten (Nervschäden, Lappennekrose etc.).
Damit das Implantat nicht zu weit nach bukkal positioniert wird, erfolgt die Pilotbohrung im palatinalen Anteil der Extraktionsalveole (Abb. 13). Die Auswahl des passenden Implantates erfolgte intraoperativ durch aufsteigende Vorbohrer mit den Durchmessern 2,9 mm, 3,3 mm, 3,8 mm und schließlich 4,3 mm, bis von einer ausreichenden Primärstabilität im Restknochen bei gleichzeitigem Erhalt des umgebenden Knochens auszugehen war. Die Passung des Implantates kann durch Einprobe des entsprechenden Formbohrers abgeschätzt werden. Die Länge wird durch Messung mit Tiefenstopps ermittelt, wobei i.d.R zwei Millimeter für eine ausreichende Primärstabilität dazu addiert werden. Es wurde deshalb ein Logon-Implantat mit dem Durchmesser 4,3 mm und der Länge 13 mm inseriert (Abb. 14-16).
Gegen Ende des Eingriffs wurden die gesammelten Knochenspäne in den bukkalen Spalt eingebracht (‚Bridging the Gap‘), die Wunden mit nicht resorbierbaren 5-0-Nähten verschlossen und eine Röntgenkontrolle durchgeführt (Abb. 17, 18). Da Sofortimplantationen sowieso mit einer etwas höheren Komplikationsrate behaftet sind [7], wurde auf eine Sofortbelastung mit einer provisorischen Krone (immediate loading), die Risiken hätte bergen können [11], verzichtet. Bei der Abformung drei Monate nach Einheilung des Implantates zeigte sich ein ausgereiftes Emergenzprofil (Abb. 19), sodass wir von weiteren weichgewebsverbessernden Maßnahmen absahen. Angesichts der beengten Platzverhältnisse musste der Abformpfosten für den offenen individuellen Löffel nach mesial noch etwas abgetrimmt werden (Abb. 20). Der Kronenrand des individuell gefrästen Abutments wird auf unseren Wunsch hin vom Zahntechniker ca. 1–1,5 mm unter Gingiva-Niveau gelegt (Abb. 21). Dies vermeidet auch langfristig ein unästhetisch freiliegendes Abutment selbst bei geringer Gingivarezession. Zum besseren Halt der einzementierten Krone ist das Abutment oberhalb der Schulter „raugestrahlt“.
In der Tat scheint das transgingivale Design in Bezug auf die Parameter Abutmenthöhe, Plattform Switching ja oder nein und Verschraubung vs. Zementierung laut Koch und anderer Autoren ein „Glaubenskrieg“ zu sein [2,12]. Wir sehen in der Verschraubung trotz neuerer angulierter Abutments und spezieller Schraubendreher, die durch schmale, wenn überhaupt möglich, palatinal gelegene Stollen eingeführt werden müssen, eher Probleme. Insofern wählen wir bei Frontzahnkronen zumeist die zementierte Version der Kroneneingliederung.
Nach Eingliederung der VMK-Krone (Abb. 22) auf das gut eingeheilte Implantat regio 12 (Abb. 23) zeigte sich ein gesundes Emergenzprofil mit einer natürlich girlandenförmig geschwungenen Gingiva.
Autoren

Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Born
- Studium der Medizin und Zahnmedizin an der Universität Tübingen
- Diverse Studienaufenthalte an der Universität Bern, Zürich (CH) u. Washington University of St. Louis, USA
- Facharztweiterbildung zum MKG-Chirurgen an der Universität Heidelberg u. Städt. Klinikum Saarbrücken
- Facharzt- und Oberarzttätigkeit am BWK, Ulm, Erwerb der Zusatzbezeichnung „Plastische Operationen“
- Weiterbildung an der Klinik für Prothetik, Universität Ulm (Prof. Ludwig)
- Seit 2008 Niederlassung als MKG-Chirurg und Zahnarzt in Stuttgart-Botnang

Zahntechnikermeister Erkan Oral
- Seit 2019 Geschäftsführer des zahntechnischen Meisterlabors B & Z Zahnmanufaktur GmbH, Stuttgart