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Elektronische Behandlungsdokumentation

Prof. Dr. jur. Thomas Ratajczak

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachan- walt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI

Kanzlei RATAJCZAK & PARTNER Rechtsanwälte mbB Berlin · Duisburg · Essen · Freiburg i.Br. · Köln · Meißen · München · Sindelfingen

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Die Bedeutung einer sorgfältigen Behandlungsdokumentation wird in der Praxis leider unverändert unterschätzt, obwohl der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in seiner Grundsatzentscheidung vom 14.03.1978 ausgeführt hat, dass der Arzt dem Patienten zwar einerseits Rechenschaft über sein Vorgehen geben muss, er dieser Beweispflicht aber weithin durch Vorlage einer ordnungsmäßigen Behandlungsdokumentation, wie sie auch gutem ärztlichem Brauch entspricht, genüge.

Vertrauenswürdigen Unterlagen dieser Art könne und solle in der Regel das Gericht bis zum Beweis der Unrichtigkeit Glauben schenken. Allerdings müsse der Arzt Umstände darlegen und unter Beweis stellen, aus denen sich die allgemeine Vertrauenswürdigkeit der Aufzeichnung ergibt. Dazu gehöre vor allem auch, dass die Dokumentation nicht erst nach Erkennbarwerden des Zwischenfalls abgewandelt worden ist (BGH, 14.03.1978 – VI ZR 213/76 –, Rz. 24 f.).

Dieser Vertrauensgrundsatz wurde in den Jahren seit dem Einzug elektronischer Dokumentationssysteme in die Praxen immer häufiger hinterfragt. Dazu hat sich der BGH nun erstmals in einem Urteil vom 27.04.2021 geäußert – mit weitreichenden Änderungen.

In dem Fall ging es um die Frage, ob ein Befunderhebungsfehler i.S. des § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB vorgelegen hat, weil eine medizinisch gebotene Untersuchung des Augenhintergrunds ohne eine vorherige Weitstellung der Pupillen erfolgt sei.

Der BGH beanstandete, dass das Berufungsgericht der mit einer nachträglichen Änderung nicht erkennbar machenden Software erstellten elektronischen Dokumentation der beklagten Augenärztin eine Indizwirkung dahingehend beigemessen hat, dass die für den 07.11.2013 dokumentierte Untersuchung des Augenhintergrunds unter Weitstellung der Pupillen tatsächlich erfolgt sei.

Eine elektronische Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, genügt nach der Entscheidung des BGH vom 27.04.2021 – VI ZR 84/19 – (Rz. 26) nicht den Anforderungen des § 630f BGB. Auch für elektronisch geführte Patientenakten sei sicherzustellen, dass Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig seien, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind.

Der BGH verneint bei einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht, die positive Indizwirkung, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist. Anders als bei der herkömmlichen hand- oder maschinenschriftlichen Dokumentation, bei der nachträgliche Änderungen durch Streichung, Radierung, Einfügung oder Neufassung regelmäßig auffielen, biete die mithilfe einer nachträglichen Änderung nicht erkennbar machenden Software geführte elektronische Dokumentation jedem Zugriffsberechtigten die Möglichkeit, den bisher aufgezeichneten Inhalt in kurzer Zeit, mit geringem Aufwand und fast ohne Entdeckungsrisiko nachträglich zu ändern. Darüber hinaus bestehe die Gefahr der versehentlichen Löschung oder Veränderung des Inhalts. Einer solchen Dokumentation fehle es an der für die Annahme einer Indizwirkung erforderlichen Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit. Sie rechtfertige nicht den ausreichend sicheren Schluss, die dokumentierte Maßnahme sei tatsächlich erfolgt (Rz. 28).

In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BGH muss in diesen Fällen der Patient auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darlegen, dass die Dokumentation nachträglich zu seinen Lasten geändert worden ist (Rz. 29).

Das Urteil wird massive Auswirkungen auf die Arzthaftungsprozesse haben. Jeder Praxisinhaber sollte sich mit seinem Praxissoftwarehersteller in Verbindung setzen, um die Gesetzeskonformität bestätigen zu lassen – und ggf. die Dinge ändern.