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EDV-Dokumentation 

2014 habe ich mich schon mal in einem Beitrag für pip mit den Untiefen der Behandlungsdokumentation per Praxisverwaltungssoftware befasst. Leider scheint sich seitdem nichts verbessert zu haben.

Die Déjà-vu-Erlebnisse reißen nicht ab, nicht bei der ärztlichen, nicht bei der zahnärztlichen, nicht bei der Krankenhausdokumentation. Es ist offenbar ein Ding objektiver Unmöglichkeit, eine vollständige Behandlungsdokumentation

  • auszudrucken, 
  • zu speichern, 
  • zu übersenden. 

Nach meinen Erfahrungen bin ich mir noch nicht einmal sicher, ob wenigstens IT-Experten das könnten; denn die in den Verfahren oft wichtigsten Befunde erhalten wir nur per Screenshot. Screenshots setzen aber Mitarbeiter voraus, die überhaupt wissen, dass es diese wenigstens per Screenshot übermittelbaren Informationen im System gibt. 

Das ist bei einfachen Befunden wie einem Zahnschema in der Regel noch kein Problem. Sollte man jedenfalls meinen. Warum kommen dann praktisch nie mit den Behandlungsunterlagen die Basisinformationen wie die Anamnese des Patienten (nicht nur der mehr oder weniger gut ausgefüllte Fragebogen), die komplette Bandbreite der erhobenen klinischen Befunde (die Abrechnungsziffer ersetzt auch hier keinen Befund) oder die schriftlichen Röntgenbefunde und die Aufklärungsinformationen? 

Wenn die Dinge komplex werden, sieht das anders aus. Wie kann man nach Ausscheiden des Behandlers aus der Praxis vergessen, dass es postoperativ nicht nur ein OPG, sondern auch ein DVT gibt? 

Die Erfahrung zeigt, dass vielen Anwälten, die im Auftrag der Berufshaftpflichtversicherer tätig sind, aber auch vielen Strafverteidigern nicht klar ist, was an Informationen im Praxisverwaltungssystem vorhanden sein muss und wie man diese aus dem System herausfiltert. Anlass zu meinem im Jahr 2014 erschienenen Artikel gab u.a. ein Fall, in dem der EDV-Hersteller erklärte, wenn man „alle“ Dokumente drucken wolle, müsse man neun verschiedene Druckbefehle ausführen. Nicht nur der betroffene Behandler fiel ob dieser Information „aus allen Wolken“, sein Team nicht minder. Als wir auf Nachfrage, ob das denn geschult werde, ein verständnisloses „Nein“ zu hören bekamen, fielen wir mit. Es ging um staatsanwaltschaftlich beschlagnahmte Behandlungsunterlagen – und wir mussten erklären, warum statt „alle“ nur etwa 15 % der vorhandenen Unterlagen tatsächlich „beschlagnahmt“ wurden, und wie sicher gestellt ist, dass der Rest nicht nach der Beschlagnahme verändert wurde. Eine von mir sehr geschätzte Richterin pflegt in solchen Situationen zu fragen, welche der vier Buchstaben von „alle“ man nicht verstanden habe. 

Wer es beunruhigend finden mag: Es hat sich nichts geändert. 

Das ist leider keine gute Nachricht für die Behandelnden; denn auf der Rechtsprechungsseite und in den Augen der Staatsanwälte ändern sich die Dinge. 

Nicht dokumentiert ist nicht behandelt und damit nicht abrechenbar (aktuell: Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.09.2022 – B 6 KA 8/22 B –). Das Sozialgericht München lehnt sich in einer Entscheidung vom 02.06.2022 – S 38 KA 125/19 – (Rz. 48) besonders weit aus dem Fenster: 

„Der Dokumentation ärztlicher Leistungen kommt große Bedeutung zu. Sie hat Beweisfunktion, beispielsweise dient sie dem Patienten im Rahmen von Strafverfahren oder im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses, aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung. Selbstverständlich dient sie auch dem Arzt als Gedächtnisstütze, aber auch als Informationsquelle für den Fall, dass Mitbehandler oder Nachbehandler die Behandlung des Patienten begleiten oder fortsetzen. Folglich dient die Dokumentation auch der Qualitätssicherung. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht.“ 

Der primäre Adressat der Dokumentation ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eigentlich der Behandler (Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.07.1999 – VI ZR 290/98 –, Rz. 13). Betrachtet man jedoch die Realität vor den Gerichten und den Staatsanwaltschaften, dann ist die Linie des Bundesgerichtshofs, wonach „eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, auch aus Rechtsgründen nicht geboten ist“, weitgehend in Vergessenheit geraten oder wird ignoriert. 

Der Patient hat das Recht auf Einsicht in seine Behandlungsunterlagen und Kopien derselben (analog oder digital). Ob er dafür nach § 630g Abs. 2 BGB bezahlen muss oder ob er die Kopien unter Berufung auf Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO für umsonst verlangen kann, entscheidet demnächst der Europäische Gerichtshof auf einer Vorlage des Bundesgerichtshofs hin. Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof hat es in seinem Schlussantrag vom 20.04.2023 im Verfahren C-307/22 für zulässig gehalten, dass der Patient die Kosten tragen muss, „sofern die Beschränkung des Auskunftsrechts unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Hinblick auf die Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der unternehmerischen Freiheit der Ärzte erforderlich und verhältnismäßig ist. Das nationale Gericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Kosten, deren Erstattung die Ärzte von den Patienten verlangen können, strikt auf die tatsächlich anfallenden Kosten beschränkt sind.“ 

Die Kopien müssen natürlich vollständig sein 

Was kann, was muss man also tun? 

  • Die Praxis muss wissen und dazu erst einmal testen, was die bekannten Druckbefehle an Daten liefern. Je nachdem kann es sein, dass die Daten zwar auf dem Bildschirm verknüpft oder verknüpfbar sind, aber keineswegs im Druck (z. B. klinische Befunde und Röntgenbefunde, die vielfach in anderen Programmen gespeichert sind). 
  • Dann muss überprüft werden, was denn offensichtlich fehlt. • Anschließend muss überprüft werden, was denn sonst noch eigentlich vorhanden sein müsste.
  • Abschließend muss man prüfen, was davon sich drucken und was sich nur per Screenshot dokumentieren lässt. 

Am Ende dieses Prüfvorgangs steht eine Arbeitsanweisung an die Mitarbeiter – und ggf. ein Schreiben an den EDV-Hersteller, dass er die Prozedur vereinfachen muss. 

Dass sich ein Behandler selbst an den Rechner stellt, um die Behandlungsdokumentation zusammenzustellen, sollte nicht erforderlich sein. Dass der Behandler die zusammengestellte Dokumentation zumindest in Form einer Plausibilitätskontrolle auf Vollständigkeit überprüft, sollte als selbstverständliche Pflicht verstanden werden. 

Fazit meines Artikels von 2014 und von 2023 

Nichts wäre fataler, als wenn die Staatsanwaltschaften die Praxis-EDV als solche beschlagnahmen dürften, weil sie sonst an die zu beschlagnahmenden Informationen nicht herankommen. 

Prof. Dr. Thomas Ratajczak

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI

Email: ratajczak@rpmed.de
Web: www.rpmed.de