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Aufklärung über Behandlungsalternativen

Man könnte den Artikel auch mit „Der Clash zwischen Wissenschaft und Praxis“ überschreiben. Die Aufklärung über Behandlungsalternativen wurde von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelt und ist seit 2013 in § 630e Abs. 1 Satz 2 BGB gesetzlich festgeschrieben.

„Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“ Die Idee dahinter ist, dass der Behandler den Patienten über seinen (primären) Behandlungsvorschlag informiert, ihn aber nicht im Unklaren darüber lässt, was sonst noch in Betracht käme. Es geht dabei allerdings nicht darum, sich abstrakt-generelle Behandlungsalternativen auszudenken, sondern den Patienten darüber zu informieren, was in seiner Lebenssituation, bei seiner Anamnese, auch – in der Zahnmedizin besonders relevant – mit seinen finanziellen Möglichkeiten noch eine Option wäre. Wenn es keine sinnvolle Alternative gibt, ist darüber auch nicht aufzuklären.

Das ist aber leichter gesagt als umgesetzt, weil sowohl Gutachter als auch Gerichte dazu tendieren, sich bei der Alternativenaufklärung an theoretischen Optionen zu orientieren. Ein besonders beeindruckendes Beispiel dafür ist die Entscheidung des OLG Koblenz vom 20.07.2006 – 5 U 180/06 –. Der Patient kam mit einem Restzahnbestand von 12-23 in die Behandlung. Es bestand ein ausgeprägter Bruxismus. Die Zähne 12 und 23 mussten mit Wurzelstiften versorgt werden. Die Behandlung misslang im Ergebnis. Ein Jahr nach Eingliederung des OK-Zahnersatzes wurden alle verbleibenden Zähne extrahiert. Der Zahnarzt verlor den Haftungsprozess, weil sich das OLG den im Urteil bei Rz. 12 wörtlich zitierten Feststellungen des Gutachters anschloss: „Es sind zahlreiche Alternativen denkbar, so wäre z.B. auch die Entfernung der wurzelbehandelten Zähne und damit die Reduktion auf drei Restzähne und eine ausgedehntere Teilprothese eine Möglichkeit gewesen. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Befestigung der Prothese über Klammern oder weniger stabile, weniger starre Geschiebe und damit eine geringere Hebelwirkung bei etwas lockerem Sitz der Prothese. Auch außerhalb des vertragszahnärztlichen Gebührenrahmens lassen sich noch zahlreiche weitere Möglichkeiten, von einer durch Teleskopkronen getragenen Teilprothese bis zu implantatgestützten Brücken zu sehr unterschiedlichen Kosten finden.“

Selbstverständlich kann man als Gutachter so an die Dinge rangehen, wenn man die Wissenschaft höher als das praktische Anwenderwissen halten will. Man hätte auch eine komplette Augmentation mit anschließender Implantatversorgung als Alternative benennen oder den Patienten schon mal darauf vorbereiten können, dass zahnlose Kiefer nicht den alsbaldigen Hungertod bedeuten. Dies ist ein Clash der Sichtweisen – hier die oft theoretisierende Vorgehensweise des Gutachters, der den Fall ex post betrachten darf, was natürlich sehr viel leichter ist, als ihn ex ante zu planen und dort die Sichtweise des Praktikers, der einen konkreten Patienten zu behandeln hat.

Die meisten Patienten schreckt ein eingetretener Misserfolg auf, weil das durch die Behandlungsaufklärung vermittelte abstrakte und damit emotional weit entfernt bleibende Wissen sich plötzlich zu einem konkreten Ereignis verdichtet hat. Selbstverständlich hätte der Patient viel gemacht, um den Eintritt zu verhindern. Aber er hat es nicht – und das liegt seltenst am Behandler. Patienten wissen, warum und wie sie Zähne putzen und dass sie das Rauchen unterlassen sollten, sie tun es dennoch vielfach nicht. Es wäre viel gewonnen, wenn sich Behandler und Gutachter darauf konzentrierten, was bei diesem Patienten sinnvoll ist, nicht darauf, was man theoretisch alles machen könnte. § 630e BGB steht dem nicht im Wege.

Prof. Dr. Thomas Ratajczak

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI

Email: ratajczak@rpmed.de
Web: www.rpmed.de