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Gutachter und Gutachten

Die effektive Vertretung von Zahnärzten vor Gericht gegenüber Behandlungsfehlervorwürfen ist oft eine Gratwanderung zwischen Verteidigung des Zahnarztes und Schutz des Vertrauens in das Gutachterwesen als solches.

Die Gratwanderung beginnt schon damit, dass ein (Zahn) Arzt, der von einem Gericht zum Gutachter bestellt wird, nach § 407 Abs. 1 ZPO grundsätzlich verpflflichtet ist, das Gutachten zu erstatten. Es gibt zwar Möglichkeiten, dem zu entrinnen, etwa wenn die Erstattung innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist nicht möglich ist (§ 407a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Aber im Grundsatz kommt man da nicht ohne Weiteres raus. 

Die Auswahl als Gutachter scheint dem Ego förderlich zu sein. Man ist immer wieder erstaunt, wie viele Gutachten manche Sachverständige pro Jahr erstatten und weiß aus bestimmten Gerichtszweigen, dass es (Zahn)Ärzte geben soll, die ihren eigentlichen Beruf bestenfalls noch neben der Gutachterei ausüben. Dabei gerät immer wieder in Vergessenheit, wie anspruchsvoll die Aufgabe ist. Der Gutachter soll dem Gericht den Fall so ziselieren, dass zum einen klar wird, ob und welche fachlich-wissenschaftlichen Vorgaben auf den Fall anwendbar sind (wenn es keine gibt, ist das auch eine wichtige Feststellung), wie hoch oder niedrig deren Evidenz ist, ob der Behandler von diesen Vorgaben abwich oder sich im Wesentlichen daran gehalten hat, und ggf. ob die Abweichungen hinnehmbar sind („vertretbar“; kein Behandlungsfehler) oder nicht (einfacher Behandlungsfehler) oder schlicht nicht passieren dürfen (grober Behandlungsfehler).Vielfach findet man im Anhang der Gutachten Literaturlisten, die einen überraschen. Als pars pro toto sei die Literaturliste aus einem im Mai 2023 vor einem Landgericht erstatteten Gutachten zu Fragen der implantologischen Versorgung und Periimplantitis vorgestellt:

Literatur:

  • Gutweit R. Schmelzeisen R.: Präimplantologischer Knochenaufbau bei atrophiertem Oberkiefer. Zahnärztl. Mitt 88, 21 (01.11.98) 2704-2710
  • Mombelli A, FD.: The characteristics of biofilms in periimplant disease. J Clin Periodontol, 2011; 38(2): 203-213
  • Christgau M. Implantattherapie im vorgeschädigten Gebiss. Parodontologie, 2013;24(2):163-176.
  • Karoussis IK, Salvi GE, Heitz-Mayfield LJ, Bragger U, Hämmerle CH, NR L. Longterm implant prognosis in patients with and without a history of chronic periodontitis: a 10-year prospective cohort study of the ITI Dental Implant System. Clin Oral Res 2003(14) 329-339
  • Rocuzzo M, Bonino F, Aglietta M. PD, ten-year results of a three arm prospective cohort study on implants in periodontally compromised patients. Part 2:clinical results. Clin Oral Implants Res 2012(23) 389-395 
  • Renvert S, Polyzois I, N C. Surgical therapy for the control of periimplantitis. Clin Oral Implants Res. 2012; 23(6): 84-94 

Insgesamt sechs Aufsätze, alle mindestens zehn Jahre, der älteste 25 Jahre alt. Man muss nur eine kurze Recherche in PubMed starten, um zu erkennen, wie veraltet diese Literaturliste ist. 

Woran hakt es? Die PubMed-Recherche kann der Gutachter doch als Aufwand abrechnen. Braucht es spezififischer Ausbildung für Gutachter? Sollte der Umgang mit wissenschaftlichem Argumentieren und Denken im Studium stärker verankert und weniger Wert auf Auswendiglernen gelegt werden? Liegt es am Gutachter? Wenn der Gutachter sich die erforderliche Mühe nicht macht, dann macht sich in solchen Prozessen idR niemand die Mühe. 

Das Gericht nicht, weil ohnehin chronisch überlastet, der Behandler idR leider auch nicht, weil ihn der Fall belastet und er sich mit solchen Stressoren lieber nicht befasst, der vom Berufshaftpflflichtversicherer eingeschaltete Anwalt nicht, weil ihm das spezififische Knowhow fehlt bzw. weil die deutschen Versicherer nach der gesetzlichen Gebührenordnung bezahlen und nicht den Aufwand honorieren, den der Fall erfordert. Das heißt, die Hauptlast der Verfahren liegt im (Zahn) Arzthaftungsbereich auf den Gutachtern. 

Die Situation ist bei den Gutachtern im weiten Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht anders. Hier kommt allerdings erschwerend hinzu, dass der Bestellung von Gutachtern in den Kammer- und KZV-Bereichen mehr Systemtransparenz gut täte. Man könnte die dort bestehenden Probleme dezidierter beschreiben, aber auch die Kritik am Gutachterwesen ist eine Gratwanderung. 

Es gibt immerhin regional Ansätze zur Strukturverbesserung. 

Prof. Dr. Thomas Ratajczak

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI

Email: ratajczak@rpmed.de
Web: www.rpmed.de