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Weichgewebsmanagement

Einschlusskriterium für die vorliegende Literaturauswahl waren Maßnahmen zum Weichgewebsmanagement bei Implantaten. Daher wurden Publikationen, die auf Maßnahmen zur Weichgewebswiederherstellung im natürlichen Gebiss abzielten, nicht in die Recherche aufgenommen. Anatomisch lässt sich die Gingiva im zahntragenden Bereich des Alveolarfortsatzes von zervikal nach apikal in die freie Gingiva, die befestigte Gingiva und die Alveolarmukosa einteilen. Diese drei Weichgewebskomponenten bilden mit den parodontalen Strukturen und dem darunterliegenden Alveolarknochen eine hochspezialisierte und adaptationsfähige funktionelle Einheit. Beim Gesunden ist die freie Gingiva ca. 2,0 mm breit und über eine Länge von ca. 1,5 mm als Saumepithel mit der Zahnoberfläche mittels eines epithelialen Haftmechanismus verbunden. Das Saumepithel umschließt den Zahnhals wie eine enge Manschette und wirkt an der Durchtrittsstelle des Zahnes in die Mundhöhle wie eine mechanische Barriere.

Die befestigte Gingiva, die wegen ihrer schwachen Tendenz zur Verhornung auch als keratinisierte Gingiva bezeichnet wird, ist über kollagene Fasern mit dem Alveolarknochen verbunden und von derber, fester Konsistenz. Ihre Breite weist dabei große interindividuelle Schwankungen auf. Sie dient ihrerseits als Barriere gegen Zugwirkungen, die von der unbefestigten Alveolarmukosa und den in ihr enthaltenen einstrahlenden Bändern des Wangen- und Lippenbereichs ausgehen und die bei einer fehlenden keratinisierten Mukosa u.a. zu Rezessionen führen können. Neben der funktionellen Problematik wirkt sich eine fehlende keratinisierte Gingiva im sichtbaren Bereich nachteilig auf die Ästhetik aus und erschwert grundsätzlich die Hygienefähigkeit in den betroffenen Bereichen [Chiu, et al., 2015, Fickl, 2015]. Inwieweit sich das Vorhandensein keratinisierter Mukosa dabei auf die Implantat-Überlebensraten auswirkt, ist derzeit noch unklar [Chiu, et al., 2015, Wennstrom und Derks, 2012].

Eines der wichtigen Ziele bei der Versorgung mit Implantaten ist daher, im Bereich des Implantathalses eine ähnlich funktionstüchtige Weichgewebsmanschette zu etablieren, wie sie in Form des Saumepithels bei natürlichen, parodontal gesunden Zähnen vorzufinden ist [Liu, et al., 2014]. Dabei kann die Ausbildung eines optimalen Emergenzprofils der periimplantären Schleimhaut im Implantathalsbereich mittels individuell angepasster provisorischer prothetischer Versorgungen erfolgen [Cosyn, et al., 2012, Parpaiola, et al., 2013]. Zur Wiederherstellung des Weichgewebes bieten sich zahlreiche unterschiedliche Augmentationsverfahren an, die sich, folgt man den Aussagen des aktuellen Reviews der Cochrane Collaboration aus dem Jahr 2012, hinsichtlich des klinischen Outcomes nicht unterscheiden [Esposito, et al., 2012]. Davon ausgehend, dass Weichgewebe und Alveolarknochen eine funktionelle Einheit bilden, liegt die Annahme nahe, dass ein wirksames Weichgewebsmanagement in bestimmten Fällen auch Maßnahmen zur Knochenregeneration beinhalten sollte. Diese Annahme wird durch einen systematischen Review bestätigt [Lutz, et al., 2015]. Die Langzeitstabilität der vestibulären Knochenwand scheint dabei einen Einfluss auf die Entstehung von Rezessionen zu haben. Diese ist aber in nur sehr wenigen Studien Gegenstand der Untersuchung, da Messungen nur mittels Digitaler Volumentomografie (DVT) durchgeführt werden können, was aufgrund der erhöhten Strahlenbelastung in ethischer Hinsicht kritisch zu sehen ist. Zusammenhänge zwischen dem Auftreten ei- ner Rezession und der Breite der keratinisierten Mukosa werden in der Literatur kontrovers diskutiert.

Während einerseits in einem narrativen und einem systematischen Review Zusammenhänge gesehen werden [Chiu, et al., 2015, Lin, et al., 2013], weisen die Ergebnisse einer anderen systematischen Übersichtsarbeit eher darauf hin, dass kein Zusammenhang besteht [Wennstrom und Derks, 2012]. Zu Zusammenhängen zwischen dem Auftreten einer Rezession im Implantatbereich und der Bildung eines Mukoperiostlappens bei der Implantation sowie einem dünnen Biotyp liegt derzeit eben- falls keine ausreichende Evidenz vor [Cosyn, et al., 2012]. In einer retrospektiven Fallserie konnten bei Rezessionen, die durch einen kombinierten Hart- und Weichgewebsdefekt bedingt waren, mittels einer Gesteuerten Knochenregeneration mit einer resorbierbaren Membran, allogenem Knochenersatz und einem koronalen Verschiebelappen nach einem Jahr signifikante Zugewinne an keratinisierter Gingiva, an Gingivahöhe und an Weichgewebsvolumen beobachtet werden [Le, et al., 2016].

In einer weiteren, kontrollierten klinischen Studie wurden vier bis sechs Monate nach einer Zahnextraktion bei Patienten mit und ohne Rezessionen zunächst Implantate transmukosal inseriert. Nach drei Monaten erhielten die Patienten mit Rezession ein Bindegewebstransplantat. In beiden Patientengruppen konnten dabei keine signifikanten Unterschiede im Weichgewebsgewinn und bei ästhetischen Parametern ermittelt werden [Cosyn, et al., 2015]. Bindegewebstransplantate können auch im Rahmen von Sofortimplantationen erfolgreich eingesetzt werden und führen zu einem signifikanten Zugewinn an keratinisierter Mukosa und einem Volumengewinn des Weichgewebes [Lee, et al., 2016]. Eine einfache Methode, im Rahmen der Versorgung mit Sofortimplantaten Rezessionen zu vermeiden, stellt die palatinale/linguale Positionierung der Implantate dar, wie einem weiteren systematischen Review zu entnehmen ist [Lin, et al., 2014]. Da der Einsatz von Bindegewebstransplantaten zu einer erhöhten Morbidität in der Spenderregion der Patienten führen kann, bietet die Verwendung einer azellulären dermalen Matrix (ADM) eine Behandlungsalternative zur Rezessionsdeckung im Implantatbereich.

Bei ADM handelt es sich um eine xenogene Kollagenmatrix, die häufig porzinen (z.B. Mucograft) oder bovinen Ursprungs ist. In einer randomisiert kontrollierten klinischen Studie konnten keine signifikanten Unterschiede im Behandlungsoutcome zwischen Bindegewebstransplantaten und ADM beobachtet werden [Anderson, et al., 2014]. Allerdings traten in der ADM-Gruppe während der Ein- heilphase mehr Zwischenfälle auf.

Im in vitro-Versuch konnte hingegen Mucograft eine sehr gute Biokompatibilität bescheinigt werden [Lima, et al., 2015]. In einer Fallserie konnten bei Verwendung von ADM bei gleichzeitiger Implantatinsertion bereits einen Monat post-OP ein dichtes Bindegewebe und eine Breitenzunahme keratinisierter Mukosa beobachtet werden [Liu, et al., 2014]. Allerdings scheint xenogene Kollagenmatrix im Vergleich zu Bindegewebstransplantaten eine signifikant geringere Langzeitstabilität bei der Bildung keratinisierter Mukosa zu haben [Schmitt, et al., 2015]. Gegenüber Bindegewebstransplantaten bieten Weichgewebstransplantate aus porziner Kollagenmatrix jedoch ästhetische Vorteile, da diese sich nach Einheilung farblich nicht vom umliegenden Weichgewebe unterscheiden, wie in der gleichen klinischen Vergleichsstudie ermittelt werden konnte. Bei Implantaten mit geschlossener Einheilung scheinen ein apikaler Verschiebelappen/eine Vestibulumplastik in Kombination mit einem freien Schleimhauttransplantat oder einem xenogenen Weichgewebstransplantat zu einer effizienten und vorhersehbaren Verbreiterung der keratinisierten Gingiva zu führen [Bassetti, et al., 2016].

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