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MDR und Corona – über Bürokratie und den Einbruch der Wirklichkeit

Es gehört etwas Wagemut dazu, sich in einem Artikel, der nicht am Tag der Ausarbeitung erscheint, mit den rechtlichen Folgen von COVID-19 bzw. Corona zu beschäftigen, weil derzeit heute nicht klar ist, was morgen rechtlich gesehen sein wird. Prof. Dr. Thomas Ratajczak berichtet aus aktueller Perspektive.

Mit zunehmender Verbreitung von Corona haben Deutscher Bundestag und Bundesrat am 25. und 27.03.2020 Gesetze abgenickt, welche der Exekutive eine Machtstellung einräumen, die sie seit dem 2. Weltkrieg nicht hatte. Das stellt den Gedanken des parlamentarischen Staates auf den Kopf. Bedenklich ist das schon deshalb, weil damit per Feldversuch getestet wird, ob das normale parlamentarische Prozedere in Krisenzeiten nicht zu viel des Guten ist und nur ein starker Staat Heil verspricht. Dass in Zeiten wie diesen auf Singapur als lobenswertes Vorbild abgehoben wird, passt ins Bild. Dass man damit populistischen Parteien die jetzigen Argumentationslinien bestätigt und die künftigen liefert, ist offenbar Kollateralschaden.

Corona und die Bürokratie

Die „Stunde der Exekutive“ ist stets die Stunde der Bürokratie. Wer den Versprechungen zu Schutzschirmen, schneller und unbürokratischer Hilfe in Zeiten der Coronakrise auf den Grund geht, sich die Verordnungen und Allgemeinverfügungen durchliest und die Formulare beachtet, merkt sehr rasch, dass hier die Bürokratie nicht heruntergefahren, sondern nur bemäntelt wird. Als Staat kann man nicht einfach jeden, der es will, mit Geld und Wohltaten überhäufen. Der Bund hilft und die Länder helfen, jeder für sich und wenig koordiniert. Was in einem Bundesland so angeboten wird, gibt es in anderen Ländern nur anders oder gar nicht. Meist wird nur versteckt darauf hingewiesen, dass die Hilfen strafrechtlich als Subvention und deren unberechtigte Inanspruchnahme als Subventionsbetrug i.S. des § 264 StGB zu werten sind. Dass schon die Abgabe falscher oder auch nur teilweise falscher eidesstattlicher Versicherungen, die stets gefordert sind, den Straftatbestand des § 156 StGB erfüllt, wird nicht extra erwähnt. Wenn die Aufarbeitung der Corona-Krise mit deutscher Gründlichkeit erfolgt, wovon auszugehen ist, werden viele Beihilfeanträge in Strafverfahren münden. Das verschweigt man vermutlich, weil es das Befinden stören könnte.

MDR (Medizinprodukte-Verordnung): Notbremse gezogen aufgrund Corona

In diesen Hochzeiten der Bürokratie hat nun eine der bürokratischsten Institutionen überhaupt, die Europäische Kommission, bei der Medizinprodukte-Verordnung (MDR) die Notbremse gezogen. Sie soll nun nicht schon am 26.05.2020 in Kraft treten, sondern erst am 26.05.2021. Ob das Einsicht in die Notwendigkeit ist, die MDR vor dem Scheitern zu bewahren, oder ob man seitens der Kommission die Gunst der Stunde nutzte, mit COVID-19 als Force Majeure aus dem selbstgeschaffenen Dilemma ohne Gesichtsverlust herauszukommen, sei dahingestellt. Denn COVID-19 wird m. E. sowohl das Arzneimittelrecht als auch das Medizinprodukterecht verändern.

Arzneimittelrecht in Zeiten von Corona

Die Vorstellung, dass gegen COVID-19 möglicherweise taugliche Arzneimittel und Impfstoffe die üblichen langwierigen klinischen Testphasen und Auswertungen mit Einbindung der Ethik-Kommissionen durchlaufen, wäre zwar arzneimittelrechtlich geboten, ist aber illusorisch. Es geht darum, so schnell wie irgend möglich Behandlungsoptionen zu erhalten, Arzneimittelrecht hin oder her. Eine spannende Frage wird sich dann ergeben, wenn die ersten Hersteller so weit sind, die so rasch wie irgend möglich gefundenen Lösungen zu vermarkten: Wer trägt das strikte Arzneimittelhaftungsrisiko, wenn die Hersteller sich beeilen, weil der Nachfragedruck so groß ist und die üblichen klinischen Prüfungen und Studien nicht durchgeführt werden können? Was ist mit der Händedesinfektionsmittelherstellung für den medizinischen Gebrauch durch Parfüm- und Schnapsproduzenten? Eigentlich handelt es sich dabei um Arzneimittel oder um Biozide – fragt derzeit jemand nach der Regulatorik?

Fragen, die auch das Medizinprodukterecht betreffen

Im Medizinprodukterecht zeichnen sich die gleichen Fragestellungen ab. Dürfen Anästhesiegeräte, die (nur) für die Betreuung von Operationen zertifiziert sind, für Langzeitbeatmungen zweckentfremdet werden? Das wäre ein Off-Label-Use. Dürfen Gesichtsschutzmasken des Automobil- oder Lackierereibedarfs zum Schutz von Patienten und medizinischem Personal eingesetzt werden? Diese Schutzmasken sind nun gar nicht als Medizinprodukte zertifiziert, sodass ein Off-Off-Label-Use vorläge. Dürfen Beatmungsgeräte im Wege des 3D-Drucks hergestellt werden, weil man das zum einen kann und sie zum anderen gebraucht werden – ganz ohne jede CE-Zertifizierung und klinische Testung, obwohl Beatmungsgeräte der Klasse IIb zuzurechnen sind? Atemschutzmasken werden, obwohl sie lt. MDR mindestens der Klasse I zuzuordnen sind, derzeit von jeden produziert, der sich dazu berufen fühlt – ganz ohne die Beachtung der Regeln des Medizinprodukterechts.

MDR in jetziger Form ein Ärgernis

Wenn das in Zeiten der Krise geht, die mit dem expliziten Ziel der Verhinderung hoher Todesraten durch einhergehende Beschränkungen verbunden ist, wozu müssen dann in normaleren Zeiten die hohen Hürden des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts bestehen bleiben? Will man raschen und preiswerten Zugang zu Gesundheitsgütern oder sollen diese durch die Bürokratiekosten der MDR aufgebläht werden? Wozu braucht man die neuen Anforderungen an die Herstellung von Sonderanfertigungen in den Praxislaboren? Wie rechtfertigt man den Tatbestand, die Belastung, welche auf die Praxen und Unternehmen in diesem Bereich durch die Corona-Krise zukommt, noch zusätzlich mit den Kosten zu erhöhen, welche u. a. die MDR mit sich bringt? Wir – und damit meine ich auch den BDIZ EDI e. V. – werden alles daran setzen, die jetzt eintretende Zwangspause der MDR zu nutzen, um in Brüssel für gesunden Menschenverstand zu werben. Der Skandal um die Brustimplantate des ehemaligen französischen Herstellers PIP rechtfertigt die MDR nicht. Die MDR ist in ihrer jetzigen Form ein Ärgernis. Vielleicht hilft COVID-19 der Brüsseler Bürokratie, das einzusehen.

Kontakt Autor

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Justiziar des BDIZ EDI
Kanzlei Ratajczak & Partner Rechtsanwälte mbB
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Posener Str. 1, 71065 Sindelfingen
Tel.: 07031-9505-18 (Frau Sybill Ratajczak)
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