hero-ribbon

Neuigkeiten zur IDS hier auf www.frag-pip.de

Digitaler Workflow: Teil II – Chirurgie

Mit Einführung der dreidimensionalen Bildgebung und der Entwicklung von interaktiver Software hat sich auch in der dentalen Implantologie ein Paradigmenwechsel eingestellt. Mittels digitaler Planung der Implantatpositionen ist es möglich, gleichermaßen unter chirurgischen wie prothetischen Gesichtspunkten die optimale Implantatposition virtuell zu bestimmen, auf Bohrschablonen zu übertragen und am Patienten umzusetzen. Gleichzeitig ermöglicht die computergestützte Implantatchirurgie ein minimalinvasives Vorgehen ohne Bildung eines Mukoperiostlappens.

Wie bei der virtuellen Diagnostik in der digitalen Implantologie ist es wichtig, Begrifflichkeiten zur Qualität eines Verfahrens im Vorfeld zu bestimmen und voneinander abzugrenzen (siehe Vorwort pip k&s 5/2017). Die Begriffe Genauigkeit (accuracy) und Präzision (precision) spielen bei der Beurteilung der Übertragungsqualität virtueller Planungsdaten auf die klinische Situation eine entscheidende Rolle. Die Genauigkeit beschreibt die Abweichung des klinischen Resultats vom virtuellen Planungswert im Rahmen der geführten Implantatinsertion (positional accuracy). Die Präzision hingegen beschreibt die Reproduzierbarkeit eines Verfahrens. Sie ist neben der Richtigkeit ein Bestandteil der Genauigkeit und beschreibt die zufällige Abweichung (Streuung) von voneinander unabhängigen Ergebnissen/Ereignissen. Nach der DIN-Norm 55350-13 wird die Präzision eines Verfahrens in qualitativer Hinsicht dadurch definiert, wie gering unterschiedlich die maximalen Abweichungen der Ereignisse voneinander sind.

Die vorliegende Literaturauswahl besteht in erster Linie aus In vitro- und klinischen Humanstudien, welche hauptsächlich den Grad der Übereinstimmung und somit die Genauigkeit der Positionierung von Implantaten nach virtueller Planung und Insertion vergleichen und beschreiben. Als Outcome-Parameter werden hauptsächlich dreidimensionale Abweichungen der Implantatposition auf den x-, y- und z-Achsen beschrieben. Es handelt sich dabei konkret um Winkelabweichungen, Fehlpositionierungen im Bereich des Implantathalses/der Implantatspitze in mesio-distaler und buk- kolingualer Richtung, sowie um Abweichungen in der Vertikalen (Insertionstiefe des Implantats), die auch bei Verwendung von Bohrschablonen nicht gänzlich verhindert werden können. So kommt es trotz schablonengeführter Präparation infolge von Passungenauigkeiten zwischen Bohrerschaft und Wand des Bohr- lochs zu klinisch relevanten Toleranzen der Implantatposition [Cassetta, et al., 2014, Lee, et al., 2016, Schneider, et al., 2015].

Einige Autoren sehen daher den größten Vorteil der geführten Implantation im Vergleich zur Freihandmethode in der bereits erwähnten Minimalinvasivität des Verfahrens ohne Bildung eines Mukoperiostlappens [D’haese, et al., 2017, Hultin, et al., 2012, Laleman, et al., 2016]. Zudem scheint das lappenlose Verfahren zu geringeren postoperativen Beschwerden und zu einer hohen Akzeptanz bei den behandelten Patienten zu führen [di Torresanto, et al., 2014, Meloni, et al., 2015, Pozzi, et al., 2014, Vercruyssen, et al., 2014a]. Grundsätzlich kann die geführte Implantatinsertion in statische (teilnavigierte) und dynamische (vollnavigierte) Verfahren unterschieden werden [D’haese, et al., 2017]. Die statisch geführte Implantation führt laut Erkenntnissen zweier systematischer Reviews zu ähnlichen klinischen Ergebnissen wie die konventionelle freihändige Implantation ohne Einsatz einer Bohrschablone [Hultin, et al., 2012, Laleman, et al., 2016].Allerdings werden bei der schablonengeführten Implantatinsertion grundsätzlich genauere Ergebnisse als bei der Freihandmethode erzielt [Geng, et al., 2015, Van Assche, et al., 2012, Vermeulen, 2017]. Dabei wird die vollnavigierte Insertion als genauer eingeschätzt im Vergleich zur Freihandmethode [Block, et al., 2017] und zu konventionellen schablonengeführten Verfahren [Vercruyssen, et al., 2015, Vercruyssen, et al., 2014b]. Autoren einer aktuellen Metaanalyse und eines systematischen Reviews kommen ebenfalls zum Schluss, dass bei vollnavigierter Implantation geringere mittlere Abweichungen am Hals und Apex des Implantats sowie geringere mittlere Winkelabweichungen zu erwarten sind als bei Teilnavigation [Bover-Ramos, et al., 2017, Zhou, et al., 2017].

Trotz Einsatz einer teil-oder vollnavigierten Implantatinsertion kann es in bestimmten klinischen Situationen notwendig werden, einen Mukoperiostlappen zu bilden. Neben der reinen Lagerung auf Schleimhaut ist im zahnlosen Kiefer auch eine Knochenlagerung der Schablone möglich. Weitere klinische Situationen sind die rein zahngestützte sowie die kombiniert- zahn- und schleimhautgelagerte Positionierung der Schablonen. Fraglich ist dabei, wie die Art der Schablonenabstützung die Genauigkeit der Implantatplatzierung beeinflussen kann. Zahngestützte Bohrschablonen scheinen am Patienten reproduzierbarer positioniert werden zu können und zu genaueren Ergebnissen zu führen als schleimhaut- oder knochengelagerte Schablonen [Pozzi, et al., 2016]. Ergebnisse einer multizentrischen klinischen Studie zeigten hingegen, dass die Implantatplatzierung mittels schleimhaut- und knochengelagerten Schablonen genauer erfolgen kann als mittels reiner Zahn- bzw. kombinierter Zahn-/Schleimhautlagerung [Testori, et al., 2014].

Allerdings waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant. Mittels Bohrschablonen, die nach Matching von DVT-Daten und intraoraler Scandaten hergestellt wurden, konnten im Vergleich zu konventionellen Schablonen im Unterkiefer verstorbener Humanspender genauere Implantatpositionen erzielt werden [Kernen, et al., 2016]. Auch in einem RCT konnten bei CAD/CAM-gefertigten Bohrschablonen exaktere Ergebnisse bei der Implantatplatzierung beobachtet werden als bei konventionellen Schablonen [Farley, et al., 2013]. Dabei scheint die Platzierungsgenauigkeit trotz Verwendung einer Bohrschablone signifikant reduziert zu sein, wenn längere Implantate eingesetzt werden [Naziri, et al., 2016, Sun, et al., 2015]. Ob die Lokalisation der Implantate (Ober- bzw. Unterkiefer) eine Fehlerquelle für die Übertragungsgenauigkeit infolge einer Fehlpositionierung der Bohrschablone darstellt, ist unklar.

In einigen Untersuchungen konnte kein Einfluss der Lokalisation auf die Genauigkeit der schablonengeführten Insertion festgestellt werden [Cassetta, et al., 2015, Naziri, et al., 2016]. Kadaverstudien und klinische Studien ergaben hingegen, dass die Abweichungen der Implantatposition im Oberkiefer geringer ausfallen als im Unterkiefer [Gillot, et al., 2014, Sun, et al., 2015]. In anderen Untersuchungen hingegen waren die Abweichungen im Unterkiefer signifikant niedriger als im Oberkiefer [Cristache und Gurbanescu, 2017, Zhou, et al., 2017]. Der Einsatz von Bohrschablonen kann die mangelnde Erfahrung des Operateurs ausgleichen [Cassetta und Bellardini, 2017, Rungcharassaeng, et al., 2015, Van de Wiele, et al., 2015] und erfahrenen Operateuren zu mehr Sicherheit und Genauigkeit bei der Implantatpositionierung verhelfen [Vermeulen, 2017].

Mehr Informationen aus der Rubrik  „kurz & schmerzlos“ finden Sie im PDF