hero-ribbon

Neuigkeiten zur IDS hier auf www.frag-pip.de

Berliner Zahnärztetag: „Cutting-Edge! Chirurgie in der Zahnmedizin“

Der Berliner Zahnärztetag 2024 stellt die Chirurgie in den Mittelpunkt. Die Berliner Oralchirurgin Dr. Dr. Anette Strunz ist maßgeblich an der Programmgestaltung beteiligt. Im Interview geht sie näher auf das Thema ein.

Interview mit Dr. Dr. Anette Strunz

Chirurgische Eingriffe, ob klein oder groß, gehören zum zahnärztlichen Alltag. Dennoch bestehen oft Unsicherheiten bezüglich des aktuellen Standards, der Einschätzung der Situation oder der eigenen Fähigkeiten. Es stellt sich die Frage, ob der Eingriff selbst ausgeführt oder an einen Oral- oder MKG-Chirurgen überwiesen werden soll. Auch die Frage nach der notwendigen Ausrüstung und der praktischen Erfahrung spielt eine Rolle.

Frau Dr. Strunz, von Oral- und MKG-Chirurginnen und -Chirurgen hört man immer wieder, dass sich vor allem jüngere Kolleginnen und Kollegen kaum noch an chirurgische Eingriffe in ihrer Praxis herantrauen und viele Patientinnen und Patienten zu den Spezialisten überweisen, obwohl diese genauso gut in der allgemeinzahnärztlichen Praxis behandelt werden könnten. Erleben Sie das auch und was beobachten Sie an Gründen dafür?

Dr. Dr. Anette Strunz: Ja, ich erlebe auch, dass ältere Kolleginnen und Kollegen mehr selbst machen beziehungsweise selbst gemacht haben und die jüngeren eher überweisen. Menschen, die erst kürzlich ihr Studium abgeschlossen haben, sind wesentlich unsicherer, was chirurgische Eingriffe angeht. Dies fängt schon beim Nähen an. Daher übe ich dies zum Beispiel in meinem DGI-Curriculums-Wochenende auch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, was sehr positiv angenommen wird. Ich biete in meiner Praxis regelmäßig Hospitationen für Berufsanfängerinnen und -anfänger an und höre oft, dass die Chirurgie im Studium viel zu kurz kommt und eine große Unsicherheit herrscht. Daher sind die Plätze bei mir immer sehr begehrt.

Was die Überweisungen angeht, finde ich es aber sogar besser, wenn die Patientinnen und Patienten weitergeschickt werden, als wenn unsichere Zahnärztinnen und -ärzte Dinge tun, die sie weder gelernt noch geübt haben und damit die Patienten nicht gut versorgt werden.

Bei älteren Kollegen erlebe ich, ehrlich gesagt, auch immer noch, dass schnell einmal Zähne entfernt werden und wir dann die entstandenen knöchernen Defekte wieder augmentieren müssen. Stattdessen hätten wir bei einer Überweisung vielleicht die Zahnentfernung schonend und mit einer Socket preservation durchgeführt und so die Augmentation bei der Implantation vermeiden können.

Jetzt hat sich der Berliner Zahnärztetag dieses Thema auf die Agenda gesetzt. Welche Bereiche deckt das Programm ab? Und mit welchem Ziel?

Dr. Dr. Anette Strunz: Wir haben versucht, möglichst alle Bereiche des chirurgischen Spektrums abzubilden. Dabei geht es aber nicht nur um chirurgische Eingriffe, sondern auch um allgemeine Themen wie die Anästhesie, Allgemeinerkrankungen, DVT-Diagnostik und Kommunikation und Aufklärung. Also auch Themen, die spannend sind, wenn man nicht oder wenig selbst operativ tätig ist.

In allen Bereichen der Zahnmedizin gibt es fachlich und technisch viele Neuerungen und Fortschritte. Welche Neuerungen sind aus Ihrer Sicht vor allem für die Chirurgie in der allgemeinzahnärztlichen Praxis wichtig und hilfreich?

Dr. Dr. Anette Strunz: Auch wenn es keine Neuerung mehr ist, so ist es doch längst nicht überall bekannt und verbreitet, dass der Knochen in den ersten Monaten nach der Zahnentfernung schrumpft und dass man dem mit einem Alveolenmanagement vorbeugen kann. Zu PRF, also Platelet rich Fibrin, gibt es inzwischen sogar eine Leitlinie – auch das ist noch nicht sehr bekannt in den Praxen, so wie ich das mitbekomme. Ebenso ist das Wissen über die DVT-Diagnostik und überhaupt das 3-D-Denken noch nicht in den allgemeinzahnärztlichen Köpfen angekommen. Ich erlebe immer wieder, dass wir ein DVT machen, eine Auffälligkeit entdecken, zur Zahnarztpraxis zurückschicken und dort dann erst einmal ein Zahnfilm angefertigt wird.

Und in der Allgemeinmedizin gibt es Medikamente, die einige von uns im Studium noch nicht gelernt haben, weil sie einfach zu neu sind – gerade bei den Gerinnungshemmern hat sich einiges getan.

Auf der menschlichen Ebene hat sich sicher das Arzt-Patienten oder das Ärztin-Patientin-Verhältnis geändert. Niemand wird mehr als Göttin oder Gott in Weiß wahrgenommen, sondern Beratungen finden auf Augenhöhe statt und die Patientinnen und Patienten sind oft sehr viel besser informiert. Daher ist auch der Anspruch an den Aufklärungs- und Beratungsteil in unserer Behandlung gestiegen, Patientinnen sind selbstbewusster und selbstbestimmter geworden.

Am Freitag gibt es wieder ein eigenes Workshop-Programm für das Praxisteam beim Berliner Zahnärztetag, aber auch am Samstag können Teammitglieder für einen kleinen Aufpreis dabei sein. Warum lohnt sich das? Wie wichtig ist das Team in der Chirurgie?

Dr. Dr. Anette Strunz: Besonders in der Chirurgie ist das Team unverzichtbar – alleine kann ich nicht operieren! Auch gibt es Dinge, die gut delegierbar sind: Röntgen, Hygiene, Abrechnung – dafür haben wir tolle Fachkräfte, denen wir unbedingt gönnen sollten, dass sie sich weiterbilden! Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels plädiere ich sehr dafür, dass wir die Menschen, die bei uns arbeiten, auch weiterbilden und mit zu solchen Veranstaltungen nehmen, natürlich auch abends zum Get-together. Dies ist eine tolle Art der Wertschätzung und kann bei der Bindung nur helfen!

Übrigens sind zwei meiner Mitarbeiterinnen als Referentinnen dabei, worauf ich sehr stolz bin. Sie werden anhand vieler praktischer Beispiele aus unserer Praxis berichten. Daher die Empfehlung an die, die ihr Team noch nicht angemeldet haben: Holen Sie das schleunigst nach, kommen Sie zusammen!

Sie werden selbst einen Vortrag zum Thema Kommunikation/Beratung halten. Wie wichtig ist die sprechende Medizin in der Chirurgie?

Dr. Dr. Anette Strunz: Wie schon erwähnt, die Zeiten haben sich geändert, die Menschen möchten aufgeklärt und mitgenommen werden. Was sich sicher nicht geändert hat ist, dass die Menschen vor allem vor der Chirurgie noch mehr Angst haben als vor allgemeinzahnärztlichen Behandlungen.

In meiner Weiterbildungszeit in der Klinik damals kam mir dies immer zu kurz, daher habe ich einige Weiterbildungen in Hypnose, NLP und positiver Beratung besucht und gebe das gerne, zusammen mit meiner „Ausbilderin und Coachin“ in diesem Gebiet, Dr. Anke Handrock, weiter. Wir möchten doch alle nicht, dass die Menschen in unseren Praxen Angst vor uns haben. Nebenbei funktionieren Wundheilung und Schmerzreduktion viel besser, wenn die Patienten entspannter sind. Und wenn ich gut und verständlich beraten und aufgeklärt habe, ist der operative Eingriff für alle drei Seiten (Patientin, Assistenz und Operateurin) wesentlich zügiger und einfacher durchzuführen. Damit ist es weniger traumatisch, was wiederum einen positiven Einfluss auf die Wundheilung hat.

Aber damit nehme ich jetzt schon fast unsere Präsentation vorweg: Kommen Sie einfach und hören es sich an. Gerne können und sollten zu diesem Thema auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen, sie können einfach die Kaffeepause im großen Saal verbringen!

Auf welches Thema oder welchen Referenten sind Sie selbst besonders gespannt?

Dr. Dr. Anette Strunz: Ich bin sehr gespannt, wie Dr. Janssen eines meiner Herzensthemen, die schonende und vorausschauende Zahnentfernung, darstellen wird. Durchschnittlich entfernt jede Zahnärztin, jeder Zahnarzt in Deutschland etwa 220 Zähne im Jahr – daher sollte hier ein Augenmerk gelegt werden! Und ich bin auf alle anderen Vorträge genauso gespannt, da es ausschließlich tolle Referentinnen und Referenten sind und wir zu allen Themen aktuelle Updates erhalten werden.

Was sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Berliner Zahnärztetag als wichtigste Botschaft für ihren „Montag drauf“ mitnehmen?

Dr. Dr. Anette Strunz: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen sich sicherer fühlen, was und wie sie überweisen, sie sollen besser sein in der Diagnostik und Abwägung der richtigen Therapie und sie sollen vor allem nicht einfach Zähne entfernen, ohne zu überlegen, wie es danach weitergeht. Idealerweise werden sie gleich Montagmorgens kurz mit ihren Teams zusammensitzen und ein Brainstorming machen, was für jede Einzelne das Mitbringsel des Kongresses war.

Weitere Informationen

Erstveröffentlichung auf www.quintessence-publishing.com