Neben der Infiltrations- und Leitungsanästhesie hat sich die intraligamentäre Anästhesie (ILA) in den vergangenen 40 Jahren bewährt. Wo liegen die Vorteile dieser Methode der Schmerzausschaltung und worauf muss bei der Umsetzung geachtet werden?
Interview mit Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Peer Kämmerer, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie, Uniklinik Mainz
Warum gibt es bei der Lokalanästhesie Nebenwirkungen für Risikopatienten und wie könnten diese aussehen?
Generell sind die Nebenwirkungen bei der Lokalanästhesie relativ gering. Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Bei geschätzten 60 Millionen Lokalanästhesien pro Jahr in Deutschland, treten bei etwa ein Prozent der Patienten Nebenwirkungen auf. Dabei sprechen wir von Nebenwirkungen wie beispielsweise Hypertonie oder allergischen Reaktionen. Problematischer sind die Nebenwirkungen bei Risikopatienten. Wir wissen zum Beispiel, dass sich bei Patienten, die mehr als zwei Medikamente einnehmen, das Risiko für Nebenwirkungen bei der Lokalanästhesie verdoppelt. Zu den Risikopatienten zählen zudem ältere Patienten. Nicht wegen ihres Alters, sondern wegen der Multimedikation oder den systemischen Erkrankungen.
Was sind die Vorteile einer intraligamentären Anästhesie – kurz ILA?
Bei der ILA haben wir den großen Vorteil, dass wir nur den einzelnen Zahn sowie minimal das umgebende Weichgewebe betäuben. Dadurch entfällt das Problem der Taubheit in der Unterlippe. Der Patient kann also nach der ILA direkt wieder essen, ohne sich selbst zu verletzen. Das bietet insbesondere bei der Behandlung von Kindern große Vorteile. Außerdem verwendet man bei der ILA nur sehr geringe Konzentrationen des Lokalanästhetikums – zwischen 0,2 und 0,3 ml pro Wurzel. Bei einer Leitungsanästhesie hingegen verwendet man zwischen 1,5 und 1,7 ml. Aus diesem Grund sind systemische Reaktionen als Nebenwirkung bei der ILA auch nicht bekannt. Außerdem gibt es bei der intraligamentären Anästhesie kein Risiko von Nervverletzungen sowie eine geringe Blutungsgefahr.
Generell kann man sagen, dass die ILA die bessere Alternative insbesondere für Risikopatienten ist.
Wie erreicht man eine optimale Dosierung bei der ILA?
In der Literatur wird 0,2 ml Lokalanästhetikum pro Wurzel empfohlen. Diskussionen in internationalen Arbeitsgruppen haben gezeigt, dass auch bei der ILA gilt: ein bisschen mehr ist nicht unbedingt schlecht. Ich persönlich dosiere so, dass ich beim einwurzeligen Zahn sowohl mesial als auch distal 0,2 ml gebe. Verabreichen kann man die passende Dosierung mit unterschiedlichen Spritzensystemen. Mit einem herkömmlichen Spritzensystem – mit oder ohne Luer-Lock – bekommt man allerdings kaum eine ILA umgesetzt, da der benötigte Druckaufbau im Parodontalspalt einfach zu groß dafür ist. Deshalb weicht man auf spezielle Spritzensysteme aus – mein persönlicher Favorit ist das Sopira-Citoject-N-System von Kulzer, da man mit diesem ein wunderbar haptisches Feedback drüber hat, ob das Anästhetikum durch den Parodontalspalt in den Knochen diffundiert.
Was sagen Sie Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht richtig an die ILA ‚rantrauen‘?
Es gibt gute Fortbildungsmöglichkeiten, um sich mit dem Verfahren vertraut zu machen. In unserem Studentenkurs an der Uniklinik Mainz lehren wir die ILA bereits seit einiger Zeit. Dabei haben wir festgestellt, man benötigt schon ein paar Versuche, um sicher in der Umsetzung zu sein. Wie bei jeder anderen Injektion benötigt man einfach Übung. Dafür würde ich mir zunächst unkritische Behandlungsfälle aussuchen und mit einem Kältespray und Wattepellet testen, ob der Zahn wirklich betäubt ist. Danach wird die ILA recht schnell zur klinischen Routine.
Was sind Ihre Erfahrungen mit Patientenreaktionen auf die ILA?
Patienten ohne Erfahrung mit der ILA sind anfangs doch sehr überrascht, wenn wir mit der Behandlung anfangen, ohne dass bei ihnen das bekannte Gefühl der Betäubung in der Unterlippe einsetzt. Zu der Verblüffung kommt dann noch hinzu, dass der Injektionsschmerz deutlich geringer ausfällt als bei der Leitungsanästhesie und die Betäubung durch die ILA trotzdem funktioniert. Patienten berichten manchmal von einem Druckgefühl bei der ILA. Das ist aber logisch, da das Lokalanästhetikum unter hohem Druck durch das Desmodontalgewebe appliziert wird. Darauf bereite ich die Patienten vor.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.