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Unterschiedliche Augmentationsmethoden im Unterkieferseitenzahnbereich beidseits 

Langzeitstudie eines Implantatfalls 

In der Rückschau sind die herausfordernden Patientenfälle besonders lehrreich. Dabei dient die kritische Selbstreflexion am ehesten zur Verbesserung und Fortentwicklung der eigenen Methodik. Wir halten dieses klinische Fallbeispiel aus verschiedenen Gründen für vorstellenswert: 

  • Der lange und gut dokumentierte Verlauf von 2009–2023.
  • Die Anwendung unterschiedlichster Verfahren aus dem implantologischen Spektrum. 
  • Die behandlungserschwerende skelettale Anomalie.

Anamnese

Bei der 1971 geborenen Patientin stellten sich 2009 im Unterkieferseitenzahnbereich rechts Probleme durch früher wurzelkanalbehandelte Zähne 45-47 mit dem Verlust der kompletten Stützzone ein. Im Ausgangs-OPG (Abb. 1) war die skelettale Anomalie mit vertikaler Wachstumstendenz des Unterkieferkörpers und stärkerer Ausformung des Kinnbereichs gut erkennbar. Die Gelenkfortsätze wirkten verkürzt mit grazilen länglichen Kondylen. Die Progenietendenz war durch kieferorthopädische Behandlung mittels mobilen Platten und Ausgleichsextraktionen im Frontzahnbereich dental kompensiert worden. Diese Problematiken äußerten sich in erschwerten Begleitumständen durch eine geringere Mundöffnung mit einer Schneidekantendistanz von ca. 35 mm und einem reduzierten Knochenangebot im Retromolarenbereich konsekutiv nach Zahnextraktionen im Seitenzahnbereich. 

Klinischer Verlauf rechte Unterkieferseite 

Es wurde dann in ITN am 10.09.10 die Kieferaugmentation im Unterkiefer rechts mit zwei monokortikalen Spänen vom linken Beckenkamm [1], die jeweils krestal und bukkal mit zwei zehn Millimeter langen Synthes-Mikroschrauben fixiert wurden (Abb. 3), durchgeführt. Zur Verhinderung 

von postoperativen Wunddehiszenzen wurde eine „tunnelierende“, subperiostale Präparation über einen mesialen und distalen Entlastungsschnitt vorgenommen [2]. 

Ca. ein halbes Jahr später konnten dann drei Bone Level-Implantate problemlos inseriert werden. Bei der Freilegung wurde eine kleinere Vestibulumplastik ohne FST [3] durchgeführt (Abb. 4). Das OPG vom 11.08.11 (Abb. 5) zeigt die verblockten und einzementierten Kronen (ohne Hinweise auf Zementüberschüsse periimplantär). 

Im weiteren Verlauf konstatierten wir periimplantär ein durch straffen Wangenzug eingeengtes Vestibulum distal mit Gefahr der Speiseresteretention, sodass wir der Patientin zu einer Vestibulumplastik mit FST rieten, was die Patientin jedoch aus „OP-Müdigkeit“ durchaus nachvollziehbar ablehnte. 

Es kam dann leider doch dazu, dass sich ein mit Taschentiefen von ca. acht Millimeter messbarer Attachmentverlust ohne Pus-Sekretion festzustellen war, sodass nun eine offene „Periimplantitis“-Behandlung indiziert war. Die offene Periimplantitisbehandlung [4,5] wird von uns folgendermaßen vorgenommen: Abpräparieren eines Schleimhautlappens von bukkal und lingual zur kompletten Exposition der kontaminierten „Rauflächen“ der Implantate (Abb. 6). 

Implantoplastik im Implantatschulterbereich, Sandstrahlung der Gewinde mit Airflow, Abspülen mit Kochsalzlösung, danach Ätzbehandlung mit Phosphorsäure, nochmals erneute Kochsalzspülung, Auflagerungsosteoplastik mit Eigenknochenchips und Abdeckung mit eBio-Gide Membran (Geistlich). In diesem Fall gehen wir von einer nichtbakteriellen Knochenatrophie infolge des Weichgewebszuges aus, da intraoperativ kaum entzündliches Granulationsgewebe gefunden wurde (Abb. 6). Die Verziehung der Mukosa nach apikal im Rahmen der Abheilung erübrigte eine weitere Vestibulumplastik. Die Schleimhautverhältnisse periimplantär sind seitdem bis dato stabil (Abb. 7). 

Klinischer Verlauf linke Unterkieferseite 

2018 stellten sich Beschwerden im Unterkiefer links ein, wobei die Perkussionsempfindlichkeit und der MF als Ursache dafür den wurzelkanalbehandelten Zahn 36 ergab (Abb. 8). Aufgrund der apikalen Obliteration erschien eine Revision nicht erfolgversprechend. Wegen einer zusätzlichen Kronenrandkaries am Zahn 37 wurden die Zähne 36 und 37 entfernt. Wegen des langjährigen, asymptomatischen Bestehens und der Nervnähe des apikalen Befundes an 37 wurde auf eine chirurgische Exploration/Entfernung verzichtet. 

Wie auf der Gegenseite stellte sich hier ebenso ein erhebliches Alveolarkammdefizit ein. Eine erneute Beckenkamm-Transplantation kam für die Patientin nicht mehr infrage. Eine ausgedehnte Knochenblockentnahme intraoral schien wegen der möglichen Frakturgefahr sehr problematisch. Das von uns entwickelte Prozedere [3,6] mit einem starren, ankonturierten Titan-Mesh und Unterfütterung mit relativ geringen Mengen an Eigenknochenchips bot hierbei einen Ausweg. 

Am 13.07.18 wurde im linken Unterkiefer die Augmentation mittels Titan-Mesh-Platte (Maschenplatte 1.3, 38 x 45 mm, 0,4 mm Dicke, DePuy, ehemals Synthes) und Auffüllen mit Eigenknochenchips, die aus einem mittleren, geschredderten Knochenblock und mittels BoneScraper gewonnen worden waren, durchgeführt. Die Fixation des Titan-Meshs erfolgte mit drei Schrauben (DePuy, Kortikalisschraube PlusDrive Ø 1,5 mm, selbstschneidend, 6 mm Länge). 

Beim Vergleich der Gipsmodelle sieht man sehr eindrücklich den Breitengewinn des Alveolarkamms (Abb. 11, 12). Vier bis fünf Monate später wurden drei Bone Level-Implantate (Hager & Meisinger) inseriert. Nach dreimonatiger erfolgreicher Osseointegration wurden die Implantate mit einer verschraubten Brückenkonstruktion versorgt (Abb. 13-15). 

Fazit

Im Arzt-Patientenverhältnis ergeben sich heutzutage immer wieder Konflikte zwischen einer Dienstleistungstätigkeit und der ärztlichen Patientenführung [7]. Wie weit erstreckt sich die ärztliche Fürsorgepflicht auf notwendige „Begleit“- Behandlungen wie z.B. Vestibulumplastik zu insistieren und ab wann untergräbt ein solches wohlgemeintes ärztliches Verhalten die Beziehung zum Patienten? 

Diese Frage kann wohl nur individuell und fallbezogen beantwortet werden. Skelettale Anomalien oder Dysgnathien können die chirurgische und prothetische Rehabilitation zusätzlich erschweren [8]. Dank neuerer augmentativer Verfahren können auch schwierige Alveolarkammdefizite ohne Beckenkammtransplantation bewältigt werden [9]. Beim Handling komplexer Implantat-Situationen sind Begleit- und Folgebehandlungen wie die Vestibulumplastiken und Periimplantitisbehandlung ein integraler Bestandteil. 

Autor

Dr. med. Dr. med. dent. Andreas Born

  • Studium der Medizin und Zahnmedizin an der Universität Tübingen
  • Diverse Studienaufenthalte an der Universität Bern, Zürich (CH) u. Washington University of St. Louis, USA
  • Facharztweiterbildung zum MKG-Chirurgen an der Universität Heidelberg u. Städt. Klinikum Saarbrücken
  • Facharzt- und Oberarzttätigkeit am BWK, Ulm, Erwerb der Zusatzbezeichnung „Plastische Operationen“
  • Weiterbildung an der Klinik für Prothetik, Universität Ulm (Prof. Ludwig)
  • Seit 2008 Niederlassung als MKG-Chirurg und Zahnarzt in Stuttgart-Botnang

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