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Wenn das Implantat zur Nebensache wird

Ein kieferchirurgisch-kieferorthopädisches, implantatprothetisches, oralchirurgisches und restauratives Therapiekonzept

Die aktuell 23-jährige Patientin litt bereits in jungen Jahren unter starker Migräne, sodass ihre Ausbildung und auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben stark beeinträchtigt war. Nach differenzialdiagnostischer Abklärung bei ihrem Hausarzt und Augenärzten war keine Ursache detektierbar, nach der Behandlung beim Osteopathen und Physiotherapeuten stellte sich keine Besserung ein. Wegen ihrer Weisheitszähne befand sie sich wenig später bei ihrem Hauszahnarzt, diesem fiel auf, dass das Gesicht schief war (Abb. 1-3).

Zur differenzialdiagnostischen Abklärung, wie etwa eines Tumors, wurde u.a. ein MRT angefertigt. Ein Tumor konnte ausgeschlossen werden, jedoch wurde im Klinikum für MKG-Chirurgie der KJF Klinik Josefinum eine ausgeprägte Kippung des Oberkiefers, eine ausgeprägte Seitenabweichung des Unterkiefers und eine Myoarthropathie diagnostiziert (Abb. 4-8). 

Während der folgenden eineinhalb Jahre, nachdem Beratungen bei mehreren Chirurgen und Kieferorthopäden stattgefunden hatten und Anträge auf Kostenübernahme einer kieferorthopädischen/kieferchirurgischen Behandlung seitens der gesetzlichen Kassen abgelehnt worden waren, wurden die Beschwerden an der Kaumuskulatur, Halswirbelsäule und durch die Migräne so stark, dass eine Dauermedikation mit Schmerzmitteln notwendig war. 

Die Patientin entschied daher, sich invasiv behandeln zu lassen. Infolgedessen wurde sie Anfang des Jahres 2021 wegen anhaltender starker Beschwerden im Klinikum für MKG-Chirurgie vorstellig und wünschte eine Dygnathieoperation. Sie wurde ausführlich über die Möglichkeiten und Risiken des umfangreichen Eingriffes aufgeklärt und erhoffte sich aufgrund ihres extremen Leidensdruckes Besserung durch den aufwendigen operativen Eingriff. 

1. Dysgnathieoperation 

Nach Operationsplanung mit Bissregistrierung und Gesichtsbogenübertragung, Modelloperation, individueller Splintanfertigung und 3D-Bildgebung wurden nach anästhesiologischer Vorbereitung folgende chirurgischen Dysgnathieeingriffe im Februar 2021 durchgeführt: 

  • Oberkieferosteotomie (Le Fort-Ebene) zur Oberkiefervor-/ seit- und -kranialverlagerung mit asymmetrischer dorsaler Impaktion, Fixation mit Miniplatten aus Titan,
  • Osteoplastik regio 23-26 und 16-18,
  • Unterkieferosteotomie zur Unterkiefervor- und -seitwärtsverlagerung nach sagittaler Spaltung, Fixation mit Miniplatten aus Titan. 

Die postoperative 3D-Bildgebung zeigte eine regelrechte Position der Segmente und des Osteosynthesematerials sowie der zentrischen Kondylenposition. Die fotografische Darstellung zeigt ein deutlich harmonischeres Profil mit infolge der Laterognathie bereits verschobener Mittellinie. Zur Unterstützung der neuromuskulären Adaption und Antagonisierung des Muskelzuges wurden maxilläre Gummizüge eingeliedert (Abb. 9, OPG, Abb. 10). Es war geplant, die Osteosytheseplatten nach sechs bis neun Monaten zu entfernen. Über mögliche Rezidive und Komplikationen wurde aufgeklärt. Die Zähne 16 und 46 waren infolge der Dysgnathieoperation frakturiert, sodass diese entfernt werden mussten. 

Kieferorthopädische Multibandbehandlung 

Vier Wochen postoperativ, nach Entfernung des OP-Splints, wurde die kieferorthopädische Behandlung des Oberkiefers mittels Multibandapparatur begonnen (Abb. 11-18). Auch wurden zwei Camlog-Implantate regio 16 und 46 geplant. Das Knochenvolumen regio 46 war sehr gering, sodass der Kiefer mit Eigenknochen und PRF (Mectron) aufgebaut werden sollte. Die Implantate (Camlog: je Ø 4,3, Länge 9 mm) sollten für drei Monate einheilen. 

2. Dysgnathieoperation 

Im Zuge des Fortschreitens der kieferorthopädischen Umformung stellte sich u.a. heraus, dass der Oberkiefer ca. drei Millimeter zu weit kaudal saß und eine weitere Dysgnathieoperation indiziert war (Abb. 19-23). Im September 2022 wurde die Patientin daher erneut operiert: 

  • Oberkieferosteotomie (Le Fort-Ebene) zur Oberkieferseitenverlagerung mit zirkulärer Impaktion, Fixation mit Miniplatten aus Titan, 
  • Unterkieferosteotomie zur Unterkiefervor- und -seitwärtsverlagerung nach sagittaler Spaltung, Fixation mit Miniplatten aus Titan. 

Die postoperative 3D-Bildgebung zeigte eine regelrechte Position der Segmente und des Osteosynthesematerials sowie der zentrischen Kondylenposition (Abb. 24, 25). Die kieferorthopädische Behandlung (Feineinstellung 09/-12/2022) wurde nach Entfernung des OP-Splints in der vierten Woche postoperativ fortgeführt. Die Entfernung der Miniplatten und Schrauben sollte nach sechs bis neun Monaten erfolgen. 

Die Aufnahmen des Kopfes zeigen die erfolgte Veränderung infolge der Behandlungsmaßnahmen und ihre konkreten Auswirkungen auf die Weichteile am Kiefer- und Gesichtsschädel der jungen Patientin (Abb. 26-28). Ende des Jahres 2022 wurden die kieferorthopädische Apparatur im Ober- und Unterkiefer seitens der Kieferorthopädin entfernt und Fixretainer im Ober- und Unterkiefer eingegliedert (Abb. 29-31). Unabhängig davon wurden in der oralchirurgischen Praxis die Implantate regio 16 und 46 freigelegt und Gingivaformer eingesetzt. Das Knochenniveau regio 46 ist nach wie vor gering, jedoch wurde nach Rücksprache mit der Patientin auf weitere Augmentationsmaßnahmen verzichtet. 

Ästhetik

Infolge der Verlegung des Oberkiefers nach kranial und der 

Kontrolle der Lachlinie erschienen die Zähne beim Lächeln nun verkürzt, sodass aus ästhetischen Gründen eine Kronenverlängerung von 14-24 geplant wurde (Abb. 32, 33). Nach Messung der Distanz zum Limbus alveolaris mittels PA-Sonde wurde bestimmt, dass knappe zwei Millimeter Kronenverlängerung notwendig waren (Abb. 34). Im Anschluss an die Schittführung wurde als Grundlage für eine neue biologische Breite ca. 1,5 Millimeter des Knochens abgetragen (Abb. 35, 36). Abschließend fixierten wir die Gingiva minimalinvasiv mit dünnen Fäden (Abb. 37). Dank der Anund Parästhesien infolge der Umstellungsosteotomien war dieser chirurgische Eingriff für die Patientin wenig unangenehm. 

Nach Abheilung der Gingiva (Abb. 38-42) zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Rot-Weiß-Ästhetik hinsichtlich der Proportionen und Anteile. Abschließend sollten die Frontzahnfüllungen an den Zähnen 13, 12, 22 und 23 durch Veneers ersetzt werden. Die keramisch verblendeten Implantatkronen 16 und 46 (Zahntechnik: Dentallabor Ulrich Stegert, www.ceramic-concept.de) wurden vor Dokumentation durch eine Röntgenkontrolle ebenfalls eingesetzt (Abb. 43). Nach Einsetzen der Veneers zeigt sich ein perfektes Lächeln (Abb. 44-50) in einem gerade gerückten stomatognathen System. 

Vielen herzlichen Dank möchte ich Herrn Dr. Dr. med. Sebastian Schiel, Klinikum für MKG-Chirurgie im KJF Klinik Josefinum, Augsburg, und Frau Dr. Franca von Dörnberg, Munich Orthodontics, München, für die Überlassung der Fotos aussprechen und allen (zahn-)ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sowie Herrn ZTM Sebastian Wagner und ZTM Ulrich Stegert, für die gute interdisziplinäre Zusammenarbeit danken. 

Autor

Dr. med. dent. Peter Randelzhofer

Dr. med. dent. Peter Randelzhofer

randelzhofer@icc-m.de

www.icc-m.de